Zu den Arbeiten von Antonia Riederer und Marie Ruprecht in der Galerie Forum Wels, am 3. April 2019
Der Titel, den die beiden Künstlerinnen ihrer Ausstellung gegeben haben, könnte treffender kaum sein: bedenken wir, dass das deutsche Wort Ding bzw. das englische Wort Thing etymologisch einen Ort, an dem alle zusammenkommen, einen Ort der Versammlung bezeichnet – zu erkennen, wie u.a. Bruno Latour ausführt, an nordischen und angelsächsischen Worten wie Storting für das Parlament in Norwegen oder Althing für den isländischen Kongress. Ein Ding ist also ursprünglich ein Ort, an dem Sachverhalte und Gesetze verhandelt werden, an dem auch gestritten und diskutiert wird, ein Ort, an dem sich Gruppen nicht versammeln, weil sie einer Meinung, sondern weil sie unterschiedlicher Meinung wären.
Dinge sind strittig, sie fordern uns heraus, sie im wahrsten Sinn des Wortes zu begreifen und kaum, dass wir sie mit unserer Geschichte, mit unserer Erinnerung aufgeladen haben, machen sie es uns schwer uns ihrer zu entledigen. Gleichzeitig – und das wird in dieser Ausstellung ebenfalls wunderbar deutlich – sind es die Dinge, die uns am Leben halten können, die uns Heimat sind, auch und gerade, wenn wir sie vermissen.
Wir wollen uns auf die Dinge verlassen.
Eine Haltung, die im letzten Raum zu entdecken ist, im dinglosen Raum, der so voller Sehnsucht und Hoffnung ist, danach, am Horizont Dinge zu erhaschen, Fata Morganen, seien es auch bloß Täuschungen, die würden uns – in diesem Zwischenraum, also noch nicht ganz weg, noch nicht einmal auf dem Weg und schon gar keine Spur von anderswo angekommen – doch reichen, um ein Gefühl von Festhalten, von Dasein, womöglich von Heimat entwickeln zu können. Aber – da ist nichts, außer Täuschungen und auch Ent-Täuschungen, wie die Künstlerinnen in der Erzählung Siegfried Kracauers „Russische Zigaretten“ verdeutlichen.
Ein Nebenaspekt in dieser Geschichte baut sich – so finde ich – in dieser Ausstellung von Marie Ruprecht und Antonia Riederer zu einem roten Faden aus: es ist eine Form von Gleichzeitigkeit, die durch Dinge, besser gesagt durch ihre Schatten, ihren Abdruck, ihre trügerische Allgemeingültigkeit und durch ihre Abwesenheit ermöglicht wird. Denn haptisch präsent sind diese Dinge in dieser Ausstellung kein einziges Mal. Es gibt keinen Löffel, keine Vase, keine Farbtube hier – es gibt nur ihre Repräsentanz durch künstlerische Repräsentation.
Im dinglosen Raum erkennen Sie, wie Menschen gleichzeitig hier und bereits auf der Flucht sind und wie rasch es sich ereignen kann, dass diese anderen Menschen eines Tages wir selbst sein können. Durch den sehnsuchtsvollen Blick auf einen dinglosen Horizont, den uns die Künstlerinnen hier anbieten, der Neues verspricht, aber auch so vieles abbricht, überbrücken wir diesen Zwischenraum zwischen gestern und morgen, zwischen uns und den anderen, zwischen hier und auf der Flucht.
Hier in diesem Raum hingegen verdichtet sich der Blick, nehmen Dinge Gestalt an – die Dinge in den Händen von übergroßen Figuren in Antonia Riederers Bildern etwa nehmen eine zentrale Rolle ein, und verlangen nach Betrachtung – gleichzeitig vollzieht die Künstlerin auch hier – wie die Kunsthistorikerin Isabella Minichmayer schon beschrieben hat: „(…) eine Anonymisierung der Welt (…), aus der ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Dauerhaftigkeit spricht.“
Dadurch, so Riederer stehen die hier gezeigten Objekte – eine Blume, ein Buch etc. für etwas, das für uns alle einmal eine Bedeutung hatte oder hat. Dinge, die wir gerne auf ein Podest stellen möchten, völlig unabhängig von ihrem realen, bezifferbaren Wert. Der Witz gerade an diesen Bildern, die im Ganzen ein bisschen distanziert oder beiläufig scheinen, ist die fast absurde Größe und das Format, mit denen die Künstlerin den Sujets etwas sakral Anmutendes, jedenfalls etwas sehr Bedeutsames, an Kirchenfenster erinnernd verleiht.
Auch Marie Ruprechts Arbeiten hier sind als eine Umdeutung interpretierbar: Landschaften und Horizonte – Fenster in die Welt – verschmelzen zu einer Einheit, stehen für sich selbst, sind sich selbst genug. Die Natur ist sich hier in diesen Bildern selbst genug – und erhalten gerade durch diese selbstbewusste Haltung, die keiner Hinterfragung bedarf, etwas Zaubrisches.
Wir nähern uns den Dingen in ihrer eigentlichen Form – im Raum nebenan stoßen Sie auf ein Mobile mit den Arbeiten Antonia Riederers – doch Achtung – es sind einige Fallen dabei – Spiegel verdeutlichen einerseits den Faktor Zeit, mit dem wir uns selbst- die Repräsentanz unserer selbst – betrachten; andererseits verweist die Künstlerin auf das sich In-bezug-setzen mit jeder Form von Ding – ein Ding quasi immer als eine Repräsentanz unserer selbst: jeder Spiegel ist auch ein Rahmen und jeder Rahmen kann zum Spiegel werden.
Mit den Prägedrucken von Marie Ruprecht daneben führt uns die Künstlerin wieder näher an die Dinge heran und errichtet doch – wie schon in den Leinenbildern hier – wieder etwas geheimnisvoll Anmutendes, Rätselhaftes rund um sie – ganz so wie es auch das verfitzte Ding Odradek umgibt, in Franz Kafkas Geschichte. Ein Ding, das ein Eigenleben entwickelt bzw. selbst zum Leben erwacht, dessen Funktionalität schwer zu entschlüsseln ist. Sie finden den Odradek übrigens auch hier in dieser Ausstellung wieder, wie er sich als Löffel ausgibt und sich zu einem Bild von Antonia Riederer gesellt.
Diese ihnen in dieser Ausstellung zugeschriebene Fähigkeit, sich zu verändern, sich aufzulösen, gleichzeitig an unterschiedlichen Orten zu sein, uns sowohl immaterielle Erinnerung, Traum, Sehnsucht als auch Angreifbares zu sein, das an unserer Seite bleibt – verleiht den Dingen etwas Lebendiges, etwas Eigenständiges, das wir als Menschen, die wir uns ja nur zu oft als die einzigen fühlenden, denkenden, sprechenden und dadurch mit Rechten ausgestatteten Lebewesen anerkennen, gerne übersehen oder negiert. Hier wird ein weiterer Zugang erkennbar in dieser Ausstellung, der beide Künstlerinnen vereint – die Fähigkeit zu erkennen, dass die vielleicht auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge jene sind, die uns im Leben begleiten, erinnern, wichtig sind, auch retten können. Und dass sie es deshalb wert sind, sich mit ihnen mehr als sonst üblich in Bezug zu setzen. Das vollführt Marie Ruprecht mit ihrer Serie „Die Welt der Dinge“, auf denen sie mit einem Pinselstrich Dinge – und zwar ohne Blick von ihnen abzuwenden – auf Papier bringt, die sich zum Zeitpunkt des Arbeitens in unmittelbarer Nähe befanden: eine Schere, Werkzeuge, ein Schreibtisch etc. Die Künstlerin selbst beschreibt es als eine äußerst intensive Übung, eine Zen Übung fast, mit diesen Dingen in einen Dialog zu treten, sie zu erkennen, und ihre Seele zu Papier zu bringen. Und mit diesem sehr schönen Gedanken möchte ich schließen – sich einzulassen auf die Arbeiten hier in dieser Ausstellung und ein Stück Seele zu erkennen, und wenn es auch nur die eigene sein mag, die sich spiegelt.
Danke!
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