erschienen in: Lückenhaft & Kryptisch | Incomplete & Ambiguous / Mai 2018
Time’s Up war aus meiner satellitenähnlichen Position betrachtet nie ein Ort, dem ich mich ohne Skepsis zugehörig und verbunden fühlte, aber stets jener Ort in Linz, zu dem ich mich in all seiner Widersprüchlichkeit manchmal fast heimatlich hingezogen fühlte. Dennoch blieb ich in den 20 Jahren aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr aber auch nicht weniger als einer jener mal weit entfernten, mal zum Küssen nahen Satelliten, die bei Bedarf ans Mutterschiff andockten.
Der folgende Text ist aus dieser Perspektive geschrieben eine Annäherung an Time’s Up über Nebenhandlungen und Nebenschauplätze.
*der wichtigste Nebensatz: Nice little Laboratory you have here
Seit „Closing the Loop“ (eine Serie aus Experimenten zur Untersuchung von Kreisläufen innerhalb von Wahrnehmungs-, Kontroll- und biomechanischen Prozessen zwischen 1998 und 2001) ist mir und vielen Anderen Time’s Up ein „Nice little laboratory“. „Interesting little laboratory you have here“ – heißt es in einem Nebensatz in dem Film Projekt Brainstorm aus dem Jahr 1983, der abgewandelt zu „Nice little laboratory you have here“ bis heute ein Satz bleibt, der vieles, was Time’s Up ausmacht, so charmant wie möglich ausdrückt: ein hübsches, kleines Laboratorium mitten im Linzer Hafen, eine Beschreibung, die alles offen lässt und gerade genug Faszinosum aussendet, um als Lockmittel für etliche wundersame Projekte, Abende und Feste in den letzten 20 Jahren zu sorgen.
Dieses „little laboratory“ beschrieb nie allein die Räume, die eindeutig als Werkstatt auch für Laien wie mich zu identifizieren waren, sondern meinte einen Arbeits- und Werkstättenbegriff, der das Wasser vor der Tür, die Uferböschungen, den Platz rund um das eigentliche Gebäude, das Dach oder aber auch alle erdenklichen nicht manifesten Räume miteinschloss. So auch den wichtigsten Nebenschauplatz jeder guten Party:
Die Küche
Es ist bemerkenswert, wieviel Bedeutung in den letzten 20 Jahren der Zubereitung von Essen und dem gemeinsamen Verzehr von Mahlzeiten auch im Kontext von Neuer Arbeit und kreativen Prozessen zuteil kommt. Die Time’s Up Küche bleibt für mich, auch nach 20 Jahren, vor allem aber ein Bilderrätsel, das ich nie ganz gelöst habe. Ein ungeschriebenes, wenngleich manifestes Regelwerk, das sich aus Schränken, Klappsesseln, Schubladen, Tassen und Tellern, Gerüchen, Bildern an der Wand in Verbindung mit den Handlungen, die Kochende, Essende und Kaffeetrinkende dort ausführen als komplexes Vermittlungs- und Kommunikationssystem ergibt. In der Time’s Up Küche ist man nicht zu Gast, sondern Teil eines subtil ablaufenden Informationstransfers, dessen Vorspiel das Kaffeetrinken und Höhepunkte die Mittagessen sind, mit einem Türstock zwischen Flur und Küche als Schleuse zwischen Ankommen und Dazugehören, Arbeiten und Essen, Draußen und Drinnen.
In der Küche finden jene Gespräche statt, die nur vordergründig oberflächlich sind, aber keinesfalls verpasst werden sollten. Mit „Oh Yeah, it’s all about the details,“ beendet auch Andreas Mayrhofer seinen Text über „The Kitchen“ [fussnote: Microwave Festival 2011, Hong Kong) im 2013 erschienen Katalog zu PARN (Physical and Alternate Reality Narratives), und erläutert davor die Bedeutung der Küche für Time’s Up: „The kitchen is the epicentre of our productive mission. It mirrors the whole existence of the Time’s Up collective. It is the heart and soul of the group, the core and is full of stories.“
Nicht mehr und nicht weniger. (Zentrum, Zentralrechner, MU/TH/UR, Mutter, Küche)
Time’s Up hat sich mit diesen Zuschreibungen und Wertaufladungen, die der Küche als Zentrum und gleichzeitig Spiegel, als Herz gar des Kollektives zukommt, auch früh mit Arbeits- und Teamstrukturen beschäftigt, die nun zunehmend auch in den Hipsterbüros der Kreativwirtschaft eingezogen sind Dazu kamen – etwa mit Projekten wie Luminous Green oder Resilient Structures – Versuche, die Bestandteile für das Essen im Time’s Up Garden gleich auch noch selbst herzustellen, sprich anzubauen. Pilze, Beeren, Kartoffeln – kaum ein Gemüse oder Kraut, das in den letzten Jahren nicht rund um die rote Burg zu finden war. Sogar die Wasserversorgung wurde durch ein ausgeklügeltes System an kommunizierenden Gefäßen und Pumpen, eine archimedische Schraube selbst in die Hand genommen, ebenso die Zubereitung des Mittagessens, durch einen Plan geregelt. Das gemeinsame Mittagessen ironisiert allerdings auch die fehlende feste Arbeitsstruktur, die dadurch fehlende feste Mittagspause, die jede_r für sich verwenden und füllen könnte, weit weg vom Büro und den Kolleg_innen, an einem Würstelstand womöglich, für sich und ohne die anderen. Wie Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf erkennen muss, dass sie in Ermangelung eines Schulbesuchs niemals Ferien haben wird, kämpfen Kunst-Kollektive wie Time’s Up ebenso wie viele Einzelkünstler_innen damit, von flexiblen Arbeitsstrukturen in einen selbstausbeuterischen 24/7 Arbeitsalltag ohne Pausen und Feierabend getrieben zu werden, für den sich die euphemistischen Ausreden auch allzu bald erschöpfen. Ein Dilemma, das von den Mitgliedern bei Time’s Up immer wieder aufgegriffen wurde, oft aber – aus der Ferne betrachtet – zu selten ausführlich befragt und zu oft zu schnell „gelöst“ wurde. Die Küche jedenfalls bleibt somit gleichzeitig Metapher für Ausweg und Auslöser.
Mit allen Vor- und Nachteilen: in der Küche, beim Kochen und beim Essen sind alle gleich? Nicht unbedingt. Auch eine verflachte Hierarchie bleibt immer noch eine Form von Hierarchie, deren Regeln allerdings kaum mehr formuliert werden, in der irrigen Annahme, beim Mittagessen sei ohnehin alles irgendwie besprochen worden. Be there or be square – wird das ungeschriebene Motto, das sich hier auch vermittelt. Gruppen, die so eingeschworen funktionieren, dass sie meinen, sich nicht mehr mitteilen zu müssen, verlieren Transparenz. Die Schleuse, die offene Küche, die fehlende Tür – auf den ersten Blick Offenheit vermittelnd – verkehrt sich mitunter ins Gegenteil und wird zu einer unsichtbaren Barriere.
Nebenschauplatz mit tragender Rolle:
Wasser
„Weil Schiffe schauen mehr Spaß macht als arbeiten“ – steht auf einer Postkarte, die eine Zeichnung des Illustrators Jean-Benoît Héron zeigt: eine Gazelle des Sables aus dem Jahr 1925, eigentlich ein klassisches Fischboot, ein Bootstyp, der auch heute noch gebaut wird, schnell, wenig Tiefgang, ohne Schnickschnack – in Internetforen wird diese Bootstype mit den Worten: „sie will hinaus“ angepriesen. Die Postkarte ist eine von vielen, die sich im Laufe der Jahre und in der Verbindung zu Time’s Up angesammelt haben, und die nur zu bejahende Feststellung – großzügig und selbstbewusst in die Mitte der Postkarte eingefügt – drückt aus, was Time’s Up mir und vielen dieser Satelliten räumlich und gedanklich in den vergangenen 20 Jahren auch war: ein Hafen, der gleichermaßen versprach, einen aufzunehmen und zu halten und einem die Weite des Wassers, das geschäftige Treiben eines Logistik-Hafens als Sehnsuchtshappen vor die Nase zu setzen. Man könnte auch sagen: Time’s Up im Linzer Hafenbecken macht Linz erträglich. Diese Hafenbecken waren und sind in ihrer Nicht-Bespielung und Existenz bedroht: Ob Jetskifahrer, Energydrinkhersteller, Tourismusverantwortliche oder verhaltensoriginelle Kreativwirtschaffende – Time’s Up hat viele Ideen auf, in und an diesen stehenden Gewässern vorbeiziehen sehen. Bis sie wieder verschwinden wie einst die Jetwasserskifahrer bleibt die Erinnerung an ein Hubert von Goisern Konzert, die Bubble Days, ein paar Container, ein Haus, in dem einmal ein Tatort gedreht wurde und jede Menge kreativer Menschen, die gerne Hauswände bemalen. Und dennoch:
Es kann kaum einen schöneren Arbeitsplatz geben als den auf einer Halbinsel, umgeben von Wasser, ein Blick, der noch dazu nicht getrübt wird durch etwas offensichtlich Hübsches sondern der sich durch den Ausblick auf Kräne, Lagerhallen und Gstättengewächse als etwas Rohes, Wildes, Notwendiges, nicht Verhandelbares und wohl nur schwer zu Beseitigendes bekräftigt.
Einen Winter lang habe ich gemeinsam und abwechselnd mit anderen Satelliten Haus- und Katerdienst versehen im Hafen, als die Time’super_innen irgendwo im Warmen unterwegs auf Festivals waren. Ich verbrachte Stunden auf der Laderampe, war eingemümmelt in eine warme Jacke und habe abwechselnd gelesen und auf das silbrige Wasser geblickt, auf die in der eiseskalten Luft noch massiver als sonst in ihrem Blau wirkenden Kräne auf der gegenüberliegenden Seite des Hafenbeckens, und dann nach rechts, bis der allerletzte Strahl Sonne hinter dem Pöstlingberg erlosch. Es war so schön. Es war nicht Linz. Womöglich ist mir das liebste an Time’s Up, dass es sich nicht wie Linz anfühlt. Womöglich ist es so einfach.
„Das Meer gibt uns die Vorstellung des Unbestimmten, Unbeschränkten und Unendlichen, und indem der Mensch sich in diesem Unendlichen fühlt, so ermutigt dies ihn zum Hinaus über das Beschränkte.“ (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Werke, Bd. 12. Frankfurt/Main 1970)
Ein Leben in Linz heißt auch ein Leben in ständiger Auseinandersetzung mit der Überwindung des Beschränkten, eine Auseinandersetzung, die Ortsunkundigen durchaus wie eine Flucht erscheinen mag. Und Time’s Up ist eine dieser Fluchtinseln mitten in Linz.
Eine Insel, auf der sich die kindliche Sehnsucht nach sprachlosem Staunen und Spielen als sehr berechtigt anfühlt.
„Sobald der Zustand des sprachlosen Staunens in Wort übersetzt wird, beginnt er nicht mit Aussagen, sondern formuliert in unendlichen Variationen immer wieder das, was wir die letzten Fragen nennen: Was ist das Sein? Wer ist der Mensch? Welchen Sinn hat das Leben? Was ist der Tod? und so weiter. Alle diese Fragen haben gemeinsam, dass sie sich nicht wissenschaftlich beantworten lassen. Der sokratische Satz ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß‘ drückt diesen Mangel an wissenschaftlichen Antworten aus. Doch im Zustand des Staunens verliert der Satz seine trockene Negativität.“ Hannah Arendt, Sokrates. Apologie der Pluralität, Berlin 2016
Ich stehe eines Abends vor einer großen weißen Kugel. Tagelang schon habe ich beobachtet, wie diese Kugel zusammengebaut wurde, wie das Metallgestell und die acht kleinen Kugel zusammengefügt wurden, auf dem die große weiße Kugel nun liegt, bereit, sich zu drehen. (Ich hätte wissen sollen, was auf mich zukam und doch war das nur sehr wenig im Vergleich zu dem was ich empfinde, nun da ich direkt davor stehe, man hat mich in einen weißen Overall gesteckt und mir allerlei Kabel und Plättchen aufgeklebt und nun soll ich durch die Öffnung in die Kugel aus Fieberglas hinein.) Body Spin – dieses Projekt ist nach wie vor meine Verkörperung von Hannah Arendts Begriff des Zustandes von sprachlosem Staunen, wie generell diese Projekte, die zwischen Objekt, Spiel und der Herstellung von herausfordernden Situationen bei größtmöglicher Chance, viel mehr über sich selbst und seinen Körper zu erfahren als einer womöglich lieb ist, changieren, auch für eine Laiin wie mich stets Momente der Sprachlosigkeit, des Staunens und vor allem der Neugierde bereithalten. Body Spin wurde während des Ars Electronica Festivals 2000 zum Wunder der Woche in der Popular-Wissenschaftssendung eines deutschen Privatsenders erkoren. Und das völlig zu recht.
Wer Wunder erzeugt, wer zum Staunen verleitet, der verleitet auch dazu, Fragen zu stellen und öffnet Räume für Wissen und Interpretation. Eine Forschungsleistung, die Time’s Up von Anfang an betrieben hat, die bei manchen allerdings von Anfang an für Verwirrung sorgt ob er Nichteinordenbarkeit der Projekte: fast tadelnd bespricht eine deutsche Journalistin die „Spiel.Art“ in München im Jahr 1997, bei der Time’s Up mit der Theaterinstallation „Various Simplexities“ vertreten war. Sie ortet Mehr Spiel als Art (…) und fühlt sich in einen Game-Saloon des 21. Jahrhunderts an das Oktoberfest erinnert. Bühne oder Spielhalle? fragte ein anderer Artikel schon in der Überschrift. Die scharfen Genre-Grenzen haben sich in den vergangenen 20 Jahren abgewetzt. Dennoch blieb die Offenheit, mit der sich Time’s Up gleichermaßen den Genres Biomechanik, Spieltheorie, Open Source und DIY Theorien, Resilienzforschung, narrativen Strukturen und vielem mehr widmet, oft Hindernis, wenn es um die Zuordenbarkeit etwa bei Förderanträgen oder Pressearbeit ging. Worum geht’s da, und in drei Sätzen bitte! ist ein Zuruf, dem sich Time’s Up bislang erfolgreich widersetzte. Mit allen Vor- und Nachteilen.
Spielen mit/und Kulturpolitik
„Hier fanden meine lieben Schäfchen einen neuen abenteuerlichen Spielplatz am Rande der Stadt, wo sie ihrer Liebe zum Wind und Wasser noch besser frönen konnten. Hier hissten sie die Piratenflagge mit der Sanduhr, die den fetten Handelsschiffen seit jeher anzeigt, dass die Zeit nun abgelaufen ist und sie nannten sich Time’s Up, was so viel bedeutet wie: Time’s Up“ sprach Gott Alex Jöchtl in einer großen Venusmuschel sitzend anlässlich einer Jubiläumsfeier bereits im Sommer 2016. In diesem vorgebrachten Statement – ein kurzer Ausschnitt nur aus einer langen, schönen und richtigen Rede, verfasst von Florian Sedmak – steckt schon so manches, wofür Time’s Up auch in Bezug auf Kulturpolitik steht.
Mehr als einmal wurde Time’s Up als Kollektiv, seine Projekte oder Fotos von Projekten als Belege für die Weltoffenheit, den Innovationsgeist Linzer Kultur- und Kunstschaffender im Umfeld der freien Szene verwendet. Mehr als einmal allerdings blieb ein schaler Nachgeschmack, blieb das Gefühl, hier schmücke sich eine Szene, eine Stadt mit Federn, die zwar nicht fremd aber über weite Strecken unverstanden und unbelohnt blieben.
Unabhängige, unbändige und gewachsene Strukturen waren und sind dieser Stadt und ihren Verantwortlichen im Grunde und unabhängig von dem, was im Kulturentwicklungsplan dazu schriftlich festgehalten wurde, in der Praxis doch stets ein Gräuel. Egal ob in Stadtplanung oder Kulturpolitik – nichts scheint mehr Verwirrung und Unbehagen zu stiften und auf mehr Ablehnung zu stoßen als die kleinen dunklen Ecken, in denen sich Hervorragendes aber eben Unsteuerbares entwickelt. Regulierung, regelmäßige Fütterung und die Oberhand über Gebäude, Strukturen und Jobvergaben zu behalten sind seit Jahrzehnten probate Mittel, um diese Strukturen im Zaum zu halten. Anderswo rufen diese Umarmungen Irritation, Misstrauen und Aufbegehren hervor, in Linz eher das Bedürfnis, um jeden Preis mitspielen zu dürfen.
Nur wenige Kollektive und Initiativen misstrauen wie Time’s Up diesen Verführungen und vorgegeben Strukturen und lassen sich auf das – nicht immer besonders lohnende – Experiment ein, Struktur, Inhalt und Ausführung stets selbst in die Hand zu nehmen, immer auch etwas widerständig und manchmal auch unverstanden und zu wenig wahrgenommen zu bleiben.
Dass ein Kollektiv wie Time’s Up in Linz geblieben ist, ist vor diesem Hintergrund nicht in erster Linie Linz sondern den Time’s Uper_innen zu verdanken. Time’s Up hat sich stets geöffnet – sowohl international als auch in Richtung der Stadt. Die Projekte, Arbeiten, Feste, Diskussionen, Vorträge und Objekte, die in den letzten 20 Jahren durch Time’s Up realisiert und unterschiedlichen Öffentlichkeiten zur Verfügung gestellt wurden – ganz zu schweigen von TwixtVille (the project that shall not be named), für Linz 09 entwickelt, bedauerlicherweise aber nicht verwirklicht – stehen in einem Verständnis von Neuer Kulturpolitik, die auch Fragen nach dem Alltag der Menschen, sowohl gegenwärtigen als auch zukünftigen Modellen von Arbeits- und Lebenssituationen stellt, sie ernst nimmt und sich damit auseinandersetzt. Darüber hinaus ist in jedem Schwerpunkt von Time’s Up, jedem Projekt eine egalitäre Ausrichtung spürbar und festzumachen – etwas, das an die Parameter und Forderungen von Kulturpolitik erinnert, wie sie auch im Linzer Kulturentwicklungsplan 2000 und dem KEP.neu 2013 festgehalten wurden. Kulturpolitik, der es um gesellschaftliche Wirkung geht, Kultur für alle und durch alle, Kultur als etwas nicht Elitäres, Kultur aber auch verstanden als Bürger_innenrecht, das geschützt und gefördert werden muss.
In Linz scheint man trotz einer wegweisenden Einrichtung wie dem KEP und dem Stellenwert, den man nicht nur darin einer freien Szene zuschreibt, allerdings zu übersehen, dass Kultur und Kulturpolitik diese Forderungen erheben dürfen, ohne sich selbst zu verleugnen. Was dafür in Linz zunehmend an die Stelle einer nicht elitären Kulturpolitik tritt, ist das große Missverständnis, massen- und markttaugliche Projekte aus Kreativwirtschaft und Eventkultur könnten diesen gleichberechtigten Zugang zu Kultur bedienen oder gar erfüllen. Und mit ihnen eine konsumierende Masse, die in Linz zunehmend als Ersatz für ein Publikum, das kostenlos und konsumfrei zugängliche Räume freier Initiativen wie Time’s Up anzieht, betrachtet wird.
Time’s Up war und ist vor diesem Hintergrund eines der politischsten Kunst-Kollektive in Linz. Denn hier werden Räume geöffnet, die Menschen Zugang nicht zu konsumistisch orientierter Unterhaltung bieten – und das, obwohl manche Projekte wie Body Spin durchaus dazu verführt hätten – sondern dazu, Neugierde zu entwickeln und schließlich in Dialog zu treten – womit der Raum eine politische Dimension erhält. Den Spielen, Maschinen, Objekten, Prozessen von Time’s Up haftet nicht das vordergründig Politische an, vielmehr entsteht bei Benutzer_innen etwas, das für politisches Denken und Handeln viel wichtiger ist: eine Lust, die Systeme hinter den Apparaturen zu verstehen, Fragen zu stellen, Zusammenhänge zu erkennen und stets auch das Angebot an ein Publikum, sich auf eine gewisse Weise selbst einzubringen (und wenn auch nur als Versuchskaninchen).
Schon allein aus dieser Grundhaltung heraus sei Time’s Up all jene Wertschätzung, Wahrnehmung und Förderung zu wünschen, die die Mitglieder und Mitstreiter_innen dieses wundersamen Kollektivs in den letzten 20 Jahren erarbeitet, erspielt, erdacht, erforscht, erkocht und auch erstritten haben.
Um am Ende noch einmal die Festrede Florian Sedmaks in der Interpretation von Gott Jöchtl zu zitieren: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. – Und die Früchte im Weinberg von Time’s Up sind mannigfaltig und schmackhaft! Sie haben die Maus aus dem Käfig hinter dem Bildschirm befreit, sie haben kleine Wunder der Technik geschaffen, sie haben euch viele Geschichten zum Selbererleben erzählt. Sie haben in ihren seeuntauglichen Schiffen alle Weltmeere befahren und sich mit anderen Piratinnen und Piraten zu einer Flotte der Lebendigen verbündet.“
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