If i were a Dancer and I had a square… / Eröffnung der Ausstellung zum Kulturfrauenballett am 22.6.2016 KunstRaum Goethestraße xtd, Linz
Ich freue mich, ein paar kurze Ausführungen und Gedanken zu dieser Ausstellung und zu den Themen, die das Kulturfrauenballett begleiten machen zu können. Es ist ja nicht so, dass wir im Zuge der Ausstellung erst begonnen haben darüber zu sprechen, was uns das Kulturfrauenballett bedeutet, viel mehr war das Durchsprechen stete Begleiterin, war bei jedem Treffen auch das Nachdenken darüber präsent, was jede Einzelne von uns hält in diesem Raum, der von Pluralität geprägt ist. (mündlich nicht erwähnt, Anm. WH: Raum in diesem Fall nicht als begrenzter Ort wahrgenommen, sondern als flexibler durchlässiger Ort, dessen Begrenzung höchstens wir, die Mitwirkenden sind – unsere Ängste, unser Nichttanzenkönnen, das drohende Scheitern aber auch die Leidenschaften, die Freude darüber, gemeinsam etwas zu erarbeiten, das von Bewegung und Beweglichkeit geprägt ist.)
Das leitet über zum ersten Thema meiner Betrachtung – das Kollektiv: was ist uns das Kollektiv wert hinsichtlich eines Arbeitsalltags und Lebensentwurfs, der für viele von uns geprägt ist von der Bereitschaft, alleine, als Einzelne, sich selbst und ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen, sich in Position zu bringen, nötigenfalls diese auch zu verteidigen – wobei ich den Begriff Einzelkämpferin ganz bewusst hier nicht verwende. Wenn also Tanja Brandmayr vom Aspekt der Kollektivität spricht, der durch die Bewegung im Quadrat befördert wird, und sie das Quadrat erkennt als eine „formale Bühne, auf der unmöglich ist, sich selbst und dem Gegenüber nicht höchst aufmerksam zu sein“, so darf ich diese Idee um die Gedanken des Dialogs, des Gesprächs erweitern: Innerhalb dieses Dialogs – wenngleich nicht verbal geführt – wird diejenige, mit der ich ihn führe im besten Fall zu einem Bild meiner Selbst. Dieser Moment ist ein erhellender, wenn man sich selbst in der Anderen erkennt, und die Wirklichkeit in einem sokratischen Sinn der anderen wahrnimmt, ohne also dass ich zur anderen werden muss. Ich nehme mich in der Wirklichkeit der anderen – gleichsam völlig eigenständig – wahr. Das ist ein wichtiger Punkt wenn es um die Frage des Kollektivs und des Zusammenarbeitens mit anderen geht, denn nur wenn ich die andere als mich wahrnehme (ausgehend davon, dass ich mich in meiner Wirklichkeit zuerst wahrnehme), kann dieses große Ganze, die Idee dieser Choreographie, das Bild das uns leitet, zur Ausführung gebracht werden. Was passiert in so einem Moment? Hannah Arendt etwa sieht in diesem Bild des „wahrhaftigen Dialogs“ das politische Element einer Freundschaft, das darin liegt, dass „jeder der Freunde die Wahrheit begreifen kann, die in der Meinung des anderen liegt. Der Freund begreift nicht so sehr den anderen als Person – er erkennt, auf welche besondere Weise die gemeinsame Welt dem anderen erscheint, der als Person ihm immer ungleich und verschieden bleibt. Diese Art von Verständnis – die Fähigkeit, die Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu sehen, wie wir es gern ein wenig trivial formulieren – ist die politische Einsicht par excellence.“ (Hannah Arendt, Sokrates. Apologie der Pluralität, Berlin 2016, S. 53) (Arendt greift hier in ihrer Vorlesung zu Sokrates (Apologie der Pluralität) zurück auf eine sokratische Idee der Freundschaft als mögliche politische Realität) – es geht ein wenig in abgewandelter Form um das Zulassen und Verstehen von möglichst vielen verschiedenen Arten von Wirklichkeiten, die sich einer großen Anzahl von Meinungen vermitteln, die unterschiedlich sein können aber zu einem Erkennen der Gemeinsamkeit der Welt führen. Das ist ein wesentlicher Punkt – der in unserer kleinen Kulturfrauenballettgruppe ebenso funktionieren kann und im besten Fall soll wie in der großen Gruppe von Gesellschaft und Politik – aufgeworfene Fragen können und sollen offen bleiben, sichtbar wird eine Pluralität von Meinungen. Entscheidend ist, dass man sich dieser Pluralität bewusst bleibt, sie akzeptiert. (mündlich am 22.6. eingeschoben: Es geht also nicht um einen kleinsten gemeinsamen Nenner, Anm. WH)
Dieser durchaus politische Aspekt ist ein weiteres wichtiges Element des Kulturfrauenballetts. Von außen betrachtet erscheinen wir als Gruppe wahrscheinlich irritierend und eigentümlich – denn wir bewegen uns zwar als Gruppe, im Kollektiv – aber wir tragen keine Botschaft, keine Forderung vor uns her, die uns einen würde. Und dennoch leitet uns ganz offensichtlich etwas an, auf das wir uns geeinigt haben: Es ist egal, welches Motiv Sie herausgreifen – ob jenes am Hauptplatz in Linz oder in Grado am Strand – die Gruppe als solche Agierende erregt Aufsehen, nicht so sehr durch gemeinsames lautstark kundgetanes Wollen oder eine Absicht, sondern durch das eher auf den ersten Blick wenig sinnhafte und entkontextualisierte Tun – wir erfüllen „nur“ unsere choreographischen Vorgaben – allerdings stets versehen und das greift auch zurück auf unsere Arbeitsentwürfe, die von hohen Ansprüchen an uns selbst geprägt sind – mit größtmöglicher Präzision und mit größtmöglicher Aufmerksamkeit. Maschinenhaft – ein Begriff, der mehrmals bei der Erarbeitung der choreographischen Figuren und Abläufe zur Sprache kam und offenbar für viele von uns eine Rolle spielt. Als Kulturarbeiterinnen – nach außen hin so schön und scheinbar frei in manchmal höchst prekären Arbeitsverhältnissen, entkommen wir doch nicht dem Maschinenhaften – einatmen, ausatmen, weitergehen, weitertun, die Kraft bereits aus dem nächsten Schritt holen, und weiter!
Vier Frauen in Hochwasserhosen, die langsam und sehr bewusst in das seichte Meer hineinschreiten, oder vier Frauen, von denen eine nach der anderen schnaubend und auf und ab sich streckend das Quadrat in einem Fabriksraum verlässt – das können auch politische Bilder einer Kritik an Arbeitsverhältnissen sein, in denen kaum mehr Luft zum Atmen bleibt, der Druck von außen vielleicht zu groß wird – plötzlich eindeutig spürbar an der Kraft, mit dem das Meerwasser mit zunehmender Tiefe gegen die Beine schlägt. Eindeutig lesbare und dechiffrierbare Forderungen aus diesen Bildern lesen zu wollen, wäre allerdings viel zu kurz gegriffen – im Gegenteil: etwas verschließt sich den Beobachtenden, worauf sich die Akteurinnen offensichtlich längst und an einem anderen Ort geeinigt haben. (beim mündlichen Vortrag nicht erwähnt, Anm. WH: Und was könnte in einer Zeit der Landnahme eines gesellschaftlichen „Wir“ durch eine plärrende Gruppe, die mit diesem Wir ausschließlich ausschließen will politisch präziser sein als eine ruhige, unaufgeregte, sehr gewissenhaft und bewusst sich bewegende Gruppe von Frauen, die still den öffentlichen Raum, einen Fabriksraum oder ein Schneefeld begeht – ohne kundzutun, ob und was genau sie damit bezwecken will?)
Wir irritieren also, unser Tun wirft Fragen auf – wie ja bereits der Titel zur Ausstellung eine Frage, ein Konjunktiv, ein Möglichkeitsraum ist:
Wenn ich eine Tänzerin wäre und ein Quadrat hätte. Es ist eine Frage an mich selbst, deren Antwort wiederum ausbleiben darf und im besten Fall neue Fragen aufwirft. Sobald sich dies ereignet, beginnt ein Mit sich Selbst Sprechen, ein Dialog mit sich, die – noch einmal Arendt – politische Form des Denkens, ein Denken, in dem sich Pluralität bekundet. Wir sind also viele, wenigstens Zwei und das sind wir bereits dann, wenn wir mit uns selbst sprechen und bereit sind uns selbst also auch zu befragen, in Frage zu stellen und doch die Mehrdeutigkeit und Pluralität der Meinungen dieser Beiden in mir zuzulassen.
Es ist als dritter Punkt diese Ambiguität, die mich am Kulturfrauenballett fasziniert: einerseits die Gruppe, das Kollektiv, das aber die größtmögliche Anzahl von Egos und Individuen zulässt (vielleicht sogar fordert und braucht). Das Politische, das der Gruppe immanent ist, das sich aber im Prozesshaften und nicht als lesbare, verkürzte Forderung formuliert. Das eben beschriebene Aufgespaltene, die Pluralität, die aber im Moment des Miteinandertuns, des In-Dialogtretens zu etwas widerspruchsfreiem Ganzen wird. Und ganz wichtig ist das Infragestellen dürfen – ich mich selbst aber auch die Gruppe, ohne dass ich damit den Zerfall der Gruppe riskieren würde. Ich darf allein sein wollen, ohne dass ich damit den Erfolg des Balletts gefährden würde – und das erscheint mir noch ein letzter sehr wesentlicher Punkt zu sein, denn ein erfülltes Alleinsein – wie es Hannah Arendt nennt, scheint aktuell und in unserem Metier als Kulturfrauen gar nicht mehr möglich oder erwünscht zu sein. Ständig muss ich mich zugehörig fühlen, befreundet und vernetzt sein, mich bekennen – es herrscht, so könnte man meinen, ein Zwang zum Miteinander und das verhindert dieses Allein mit sich sein, ein Zustand in dem man aber doch so schön zum Sich-Aufspalten kommt, zum Mit sich selbst reden, zu einem inneren Dialog, der Voraussetzung ist, um mit anderen in Dialog zu treten. Auch deshalb sind Projekte wie das Kulturfrauenballett so wichtig. Denn sie bieten und verlangen beides: Ein Gespräch mit sich selbst, Konzentration auf sich selbst bei gleichzeitiger Achtung und Aufmerksamkeit dessen, was die andere will, was sie tut. Das Verhältnis zwischen meinen Schritten und Bewegungen zu jenen meiner Nachbarinnen muss stimmen, sonst verliert sich die Choreographie – und glauben sie mir, sie hat sich oft genug verloren. Immer wieder aber haben wir uns im Kollektiv danach wieder gefunden.
Danke.
Zitat aus: Hannah Arendt, Sokrates. Apologie der Pluralität, Berlin 2016, Mathes & Seitz
Fotos: Kunstraum Goethestrasse xtd.
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