wiltrud katherina hackl


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KOLLOQIUM KUNSTUNIVERSITÄT LINZ 4. NOV 2021 AQUATIC LIFE & DEATH | Leiche, Nixe, Stör;Sarah Becker, Christina Gruber, Wiltrud HacklGast: Gabriela Carneiro da Cunha „Wir, und unsresgleichen in den andern Elementen, wir verstieben und vergehen mit Geist und Leib, dass keine Spur von uns rückbleibt und wenn ihr andern dermaleinst zu einem reineren Leben erwacht, sind…

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Aquatic Life and Death

KOLLOQIUM KUNSTUNIVERSITÄT LINZ

4. NOV 2021

AQUATIC LIFE & DEATH | Leiche, Nixe, Stör;
Sarah Becker, Christina Gruber, Wiltrud Hackl
Gast: Gabriela Carneiro da Cunha

„Wir, und unsresgleichen in den andern Elementen, wir verstieben und vergehen mit Geist und Leib, dass keine Spur von uns rückbleibt und wenn ihr andern dermaleinst zu einem reineren Leben erwacht, sind wir geblieben, wo Sand und Funk‘ und Wind und Welle blieb.“[1]

Donausand

Wer von der Wasserfrau spricht, spricht von ihrem Körper. Der Körper, sowohl der jeweils gegenwärtige als auch der transformierte oder in Transformation befindliche Körper sowie die Betonung von Teilen ihres Körpers sind es, die Wasserfrauen auf den ersten Blick erkennbar, identifizierbar machen. Animalische Unterkörper, menschliche Oberkörper oder wässrige, transparente Darstellungen – es sind wiederkehrende, rasch zuordenbare Motive, die Betrachter:innen eine „Nixe“, eine „Meerjungfrau“ oder eine „Nymphe“ sehen und benennen lassen.

Aber auch, wo sich dieser Körper befindet, ist ausschlaggebend dafür, ob wir von einer Wasserfrau sprechen: Lore-Lay auf dem Felsen, Undine auf der Halbinsel oder in der Badewanne, Melusine im Bad, die Fee am Brunnen, die schöne Lau im Blautopf. Und schließlich sind Wasserfrauen an ihren körperlichen Erweiterungen zu erkennen, die auf ihre nicht-irdische, über-menschliche Zugehörigkeit verweisen: Drachenflügel für die Melusine, Fischhäute zwischen den Fingern für die Schöne Lau, zwei Beine für die kleine Meerjungfrau und letztendlich erkennen wir sie daran, wie kompromisslos sie diesen Körper einsetzt (Die kleine Meerjungfrau) und daran, wie ihr Körper entschwindet, verschlungen wird, versteinert oder sich auflöst. Es sind Körper und Körperlichkeit, über die die Wasserfrau verhandelt und erzählt wird.

Gleichzeitig wird dieser Körper als ein Geheimnis erzählt: er wird verschleiert, er ist verzaubert, er ist nicht, was er scheint, er ist mehr, er wird mehr. Er kann sich teilen, sich reproduzieren, aus sich heraus, die Wasserfrau ist Entität. Er ist gleichzeitig Verbot, Tabu und Versprechen. Er ist ein „zum Zeichen gestalteter Körper“ – um auf Elisabeth Bronfen zurückzugreifen und: er ist gleichzeitig viele Körper: Undine etwa benötigt weder Fisch- noch Schlangenschwanz, sie geht wie Andersens kleine Meerjungfrau in ein anderes Element bzw. in einen anderen Aggregatzustand von Wasser über, sie wird zum Bach, Melusine wird zum Drachen, die Meerjungfrau zu Meerschaum. Die alle Wasserfrauenkörper verbindende Konstante ist, dass er „wird“, „ein Werden hat“, und, dass er fluide ist und in Bewegung bleibt.

Der Körper einer Wasserfrau ist auch aus diesem Grund nicht zwingend und nicht in erster Linie ein Zeichen für Weiblichkeit, er beschreibt mehr als ein Geschlecht, eher beschreibt er ein Bezugssystem der Andersheit, er repräsentiert nicht „die Frau“, sondern das „System der Andersheit der Frau“, präziser: einen Teil dieses Systems, der sich mit anderen Teilen dieser Andersheit, die der Geschlechterkonstruktion „weiblich“ innewohnen sollen – aus patriarchaler und heteronormativer Perspektive formuliert – überschneidet. Auf diese Teile komme ich noch zurück, es ist wichtig, die unterschiedlichen Teile der Systeme, die die Andersheit der Frau beschreiben, nicht aus den Augen zu verlieren, damit sie sich verbünden können, denn die Wasserfrauen hegen durchaus solidarische Gefühle gegenüber Menschen-Frauen, sie sind empathisch, sie wollen „befreundet“ sein, sie suchen in ihnen nach einer „Verbündeten“ in einer Welt, die ihnen fremd ist.

Wasserfrauen leben häufig auch in Gemeinschaft mit anderen Wasserfrauen, sie sind zugehörig. Beispiele für eine derartige „Wasserfrauen-Bande“ finden sich etwa bei Marie de France in ihrer Erzählung Lanval aus dem Jahr 1170, in der die Figur der Fee eine selbstbewusste, ökonomisch unabhängige und mit ihrem ausschliesslich weiblichen Hofstaat lebende und reisende Frau ist, die Beziehungsangebote und Regeln macht, die die Geschichte bestimmt und am Ende Lanval – einen von Artus‘ Rittern – in ihr Reich mitnimmt und nicht darum bittet, bei ihm und in seiner Welt Aufnahme zu finden. Eine, die ihr 600 Jahre später am nächsten kommt, ist Hulda, die Saal-Nixe bei Christian Vulpius 1795, auch sie ist reich, residiert in einem Schloss unter Wasser, ihre Beziehungs-Absichten formuliert sie klar und eindeutig, sie will Albrecht überhaupt nur einen Monat im Jahr sehen und fordert ihn auf, Bertha zu heiraten, und mit ihr eben diese einmonatige Beziehung einzugehen. Sie hat auch größtes Verständnis für und empfindet Zuneigung zu seiner Frau Bertha und nennt ein Kind, das sie mit Albrecht hat, Huldebert[2]: „Mir überlaß Dich und Deine Liebe nur einen Monat des Jahrs. Ich mache Dich reich, groß und glücklich (…)“

(Bea Lundt verweist darauf, dass Marie de France die Fee im Lanval als eine so perfekte, unabhängige Person fern jeglicher Ansprüche an eine Beziehung mit Lanval beschreibt (sie „verzeiht“ Lanval, obwohl er sie dreimal verraten hat und ihre einzige Bedingung, nämlich nichts von dieser Affäre zu verraten, nicht mit ihr zu prahlen nicht einhält und rettet ihn selbstlos vor dem Tod), sodass hinterfragt werden muss, ob sich damit nicht auch in ihr bloß ein patriarchaler Wunschtraum erfüllt. Der Einwand bzw. die Frage – aus welcher Perspektive werden weibliche Wasserfiguren gezeichnet, wem dienen ihre Eigenschaften, welche Geschlechterdominanz unterstützen sie, wo sind sie in der Lage, die Dominanz zu brechen – ist einer, der sich unbedingt und bis in gegenwärtige Darstellungen von auf den ersten Blick besonders unabhängigen, selbstbewussten Nixen berechtigterweise anwenden lässt. Ein patriarchalischer Wunschtraum, in dem Frauen, die nicht an dauerhafter Beziehung interessiert sind, die omnipräsente aber körperlose patriarchale Macht anerkennen, dessen Beschreibung vor allem Darstellungen und Beschreibungen im 18. und 19. Jahrhundert prägt und im 20. Jahrhundert nur durch eine zusätzlich offen zur Schau gestellte Misogynität bis hin zu verschriftlichen Gewaltphantasien an weiblichen Wasserfrauenkörpern ergänzt, aber nicht abgelöst wird, kann und muss an der Figur der Wasserfrau durchaus kritisiert und diskutiert werden. Gleichzeitig muss aber hinterfragt werden, warum „Unabhängigkeit“ und „Unverbindlichkeit“ in Beziehungen ausschliesslich als patriarchalische Wunschträume abgetan werden?)

Auch in anderen Wasserfrauenerzählungen sind Verweise auf Frauen-Kollektive zu finden: das Wirtshaus der Betha Seysolffin in Mörikes „Historie von der schönen Lau“ (Buch) wurde am Ort eines ehemaligen Nonnenklosters errichtet, darüber hinaus lebt die Lau im Blautopf gemeinsam mit weiblichen Mitgliedern ihres Hofstaats (Kammerzofen und Mägden), „so muntere und kluge Mädchen, als je auf Entenfüßen gingen, (…) erzählten ihr alte Geschichten und Mären, machten Musik, tanzten und scherzten mit ihr.“[3] Vor allem dieses Charakteristikum der in Gemeinschaft lebenden und arbeitenden Wasserfrauen zieht sich durch Erzählungen, Darstellungen und Beschreibungen bis heute. Das widerspricht dem unhinterfragten Narrativ von Fremdheit und Nichtdazugehörigkeit, das aus patriarchaler Sicht behauptet, aus weiblicher Sicht internalisiert und gelebt wird: die Wasserfrau als die „nicht normale“ Frau, die Geliebte, Freundin, Muse, Mäzenin sein kann, aufgrund ihrer „Andersheit“ aber nicht als Ehefrau in Frage käme – eine Betonung, die in den meisten Fällen überflüssig ist, weil die Wasserfrau an dieser Form des Zusammenlebens nicht interessiert ist und das immer wieder auch betont, ob Undine, Hulda, Lady Molly bei Clemens Brentano – viele machen immer wieder deutlich, dass sie nicht heiraten wollen, sondern an ganz anderen Formen des Zusammenlebens oder einer Beziehung interessiert sind.

Die Wasserfrau ist so betrachtet unabhängig und zugehörig – einem Element, einem familiären Verbund, einer Sphäre und sie selbst entscheidet darüber, ob sie sich entzieht (sie will auch mal in Ruhe gelassen werden). Sie ist in ihrer Geschichte und Genealogie weder alleinstehend, einsam, fremd noch ein Mangelwesen, sie hat Beziehungen. Sie hat Geschichte und teils Familie, sie „ist verwandt“ und entstammt einer Gesellschaft, die ähnlich organisiert zu sein scheint wie die Welt außerhalb des Wassers. Sie ist kein „Monstrum“ wie ein anderer ebenfalls zwiegespaltener Meeresbewohner, der Wal, der, wie Gloria Meynen ausführt, „obdachlos ist“, „ein Ungeheuer, weil er dazu verdammt (ist), ungeborgen und unbehaust zu bleiben.[4]“ Der Wal ist ein Rückkehrer ins Wasser, und weder an Land noch im Wasser „vollständig zu Hause“ (Meynen), und dennoch ist sie in dieser Hinsicht dem Wal näher als der Nicht-Wasserfrau. Auch die Wasserfrau wechselt die Elemente nicht unbeschadet, ganz im Gegenteil.

Bis auf wenige Ausnahmen kann sie nicht zurück, wenn sie einmal ihrer Geschichte, ihrer Familie und dem Wasser den Rücken gekehrt hat. Im Verlassen des Wassers, im Zweibeiner-Werden lauert die Gefahr. Eine Gefahr, auf die sich einzulassen alles ändert im Leben der Wasserfrau. Dem Ufer, der Transitzone zwischen Wasser und Land, zwischen Wasserwesen und Menschen, kommt so eine ganz besondere Bedeutung zu. Und auch der Körper der Wasserfrau selbst wird zu einem Ort und beschreibt eine Transitzone. Die Wasserfrau bildet den Rand, das Außen, das Innen, die Membran, die Erinnerung, die Spur, die Verkörperung und die Auflösung. Sie sucht keinen Anfangspunkt und kein Ende, aber sie sucht Referenzpunkte und Bezugssysteme. Diese Referenzen können sie selbst und ihre eigene Körperlichkeit sein – Loreley mit Kamm und Spiegel (Bsp. Mora in Night Tide), Melusine im Bad – nicht um sich als Individuation oder Subjekt abzugrenzen oder darzustellen, sondern um erneut Bezüge herzustellen. Die Wasserfrau weiß um ihr Werden, um ihr Dasein als Diesheit:

Zitat Undine geht / Ingeborg Bachmann

„Wohl Euch! Ihr werdet viel geliebt, und es wird Euch viel verziehen. Doch vergeßt nicht, daß ihr mich gerufen habt in die Welt, daß euch geträumt hat von mir, der anderen, von eurem Geist und nicht von eurer Gestalt, der Unbekannten, die auf euren Hochzeiten den Klageruf anstimmt, auf nassen Füßen kommt und von deren Kuß ihr zu sterben fürchtet, so wie ihr zu sterben wünscht, und nie mehr sterbt: ordnungslos, hingerissen und von höchster Vernunft…..“[5]

Die Geschichte der Wasserfrau beginnt mit dem Stehlen ihres Körpers, mit der Negation ihres Körpers: Undine wird als Ersatz für das Menschenkind Berthalda den Fischern gegeben, die Melusine muss ihren Körper verstecken, die Fee wird als Körper verleugnet, die Meerhexe stiehlt Teile der Meerjungfrauenkörper, die Haut der Robbenfrau wird gestohlen – die Wasserfrau scheint zu einer Allegorie eines Übergangsstadiums zu werden, alle müssen durch sie hindurch, alle müssen Wasserfrau werden.

Die Wasserfrau steht zwischen Leben und Tod, manchmal sogar noch davor – sie ist nicht einmal geboren, auf der Suche nach einer (christlichen) Seele – Undine zb., (als Allegorie auf Weiblichkeit bietet sie andererseits eine patriarchalisch gezeichnete Exitstrategie, wie aus dem Dilemma des Geborenseins aus einem weiblichen Körper (Irigaray) zu entkommen sei)

So betrachtet ist die Wasserfrau eine Art, die eine Metamorphose durchmacht, und ist in ihrem (nicht)Körper, der ständig in Bewegung und Auflösung begriffen ist, anderen Arten ähnlich…?

Sie ist fluid, omnipräsent und nicht manifest – und wer ihr einen physischen Körper gibt und sie in eine reale Welt versetzt wie Christian Petzold in seinem 2020 erschienenen, wunderschönen Film „Undine“, weiss, dass er sie der Auflösung preisgibt. Da vermittelt sich eine Klarheit in den Abläufen, eine Bestimmtheit und eine Schonungslosigkeit, die jede Dualität zwischen Leben und Tod, zwischen männlich und weiblich, zwischen Natur und Kultur nicht überwinden muss, sondern sie schlicht für beendet erklärt: „und dass an die Stelle der Ur-Oppositionen generische Sequenzen gesetzt werden müssen, die mit der wachsenden Unwahrscheinlichkeit auf wunderbare Weise Schritt halten können. Sobald man solche generischen Sequenzen anerkennt, also sich aus dem Wachsen und dem Werden herleitende Organisationsformen, ist die Natur als Mutter wieder (…) in ihre vollen Rechte eingesetzt, die alte Ober- und Übertechnikerin, (…)“

Verwendete Textpassagen:

von Samsonov, Elisabeth: Der Körper als Passage / Meditationen über das Wachsen, in: Quel Corps? S.187, München 2002, Hrsg: Belting H., Kamper D., Schulz, M.

Bachmann, Ingeborg: Undine geht, in: Undine geht, Erzählungen, S. 115 f., Leipzig 1978,

Notizen: Ami Bergmann & Peter Wallström


[1] Undine, Friedrich de la Motte-Fouqué (1811), S.47, Stuttgart 2019 

[2] Worauf Andreas Kraß in „Meerjungfrauen. Geschichten einer unmöglichen Liebe“ verweist. S.183, Frankfurt/Main 2010

[3] Historie von der schönen Lau, Eduard Mörike, Grafrath 2017

[4] Inseln und Meere, Zur Geschichte und Geografie fluider Grenzen, S. 314, Gloria Meynen, Berlin 2020

[5] Ingeborg Bachmann, Undine geht, Leipzig 1978, S.115

 

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