Frau Ministerin Hartinger-Klein, Sie meinten in einem Interview mit der Kronen Zeitung am 4.8.2018 unter anderem: „Aber manche Dinge finde ich schon komisch. Zum Beispiel, dass ein Mensch ins Kino gehen muss, um an der Gesellschaft teilzuhaben. Ich meine: Wie viele können sich das leisten? Ich finde nicht, dass Kino überlebensnotwendig ist.“ – Die Interviewerin, Conny Bischofberger, hat Ihnen die aktuellen Einkommensgrenzen der Statistik Austria vorgelesen, mit denen eine „bescheidene Teilhabe an der Gesellschaft“ möglich ist bzw. ab denen Menschen in Österreich als armutsgefährdet gelten. Es gibt viele Möglichkeiten, auf eine derartige Feststellung zu reagieren – je nach Stimmungslage oder politischer Orientierung gäbe es etwa Antworten, die das Gehörte in Zweifel ziehen oder Interesse daran bekunden; fragende oder bestätigende Antworten, erstaunte oder empörte und viele mehr. Und die meisten davon würden mich unberührt lassen. Aber eine Antwort, die so von Desinteresse an den Lebensumständen anderer zeugt, ist eine, die einige Anmerkungen verdient. Als eine, die seit vielen Jahren im Kulturbereich tätig ist aber auch als eine, die noch gut weiß, wie es ist, sich keine Kinokarte, keine Theaterkarte, keine Konzertkarte oder keinen Kaffee mit Freund*innen danach leisten zu können, bei dem das Gesehene diskutiert werden kann, erläutere ich Ihnen gerne, warum ich es für überlebensnotwendig halte, dass Menschen in einem Land wie Österreich Zugang zu Kultur haben: Ein Land, in dem Menschen eben dieser Zugang verwehrt wird, verkümmert. Die Menschen werden einseitig, sie verlieren den Blick auf ihr eigenes Leben und das anderer Menschen, sie verlernen Phantasie, sie verlieren die Fähigkeit, in sich hineinzuhören, nachzudenken und zu sprechen. Sie verorten sich nicht mehr in einem großen Ganzen und im Kontext mit anderen Menschen, sie verlieren den Blick auf eine Welt außerhalb der ihren. Auf die Zukunft und auf die Vergangenheit. Eine Gesellschaft, in der Menschen keinen Zugang zu Kultur haben, verliert ihre Spiegel. Das bedeutet, dass diese Gesellschaft sich nur noch an sich selbst misst. Was sich aber ständig nur aus sich selbst heraus begründet, verliert das Empfinden für die Balance zwischen Bescheidenheit und Selbstbewusstsein. Aus dieser Unsicherheit heraus wird rasch all das krampfhaft verteidigt und festgehalten, was an Bekanntem und Gewohntem gerade noch erinnerbar und abrufbar ist.
Lassen Sie es mich an einem Beispiel verdeutlichen: während Sie selbst also in den “steirischen Bergen, mit Blick auf einen See“ sitzen und dieses Interview geben, vergessen Sie – vielleicht noch ganz beseelt von diesem sicherlich entspannenden Bild – darauf, den Blick auf jene Menschen zu richten, für die Sie als Sozialministerin verantwortlich sind. Und weil Sie in den steirischen Bergen ganz wunderbar ohne Kino auskommen, meinen Sie vielleicht, dass eigentlich alle Menschen ohne Kino auskommen könnten. Die Welt aber ist mehr als das, was ihr Urlaubsblick zu erhaschen vermag. Und zum Glück sind weder der Stellenwert von Kultur noch die Möglichkeiten, diese Kultur gemeinsam mit anderen zu erleben, zu genießen und zu diskutieren in einer Demokratie abhängig von – zum Beispiel – der temporären Erscheinung einer Regierung, die diesen Stellenwert zu erkennen nicht fähig ist. Sind nicht abhängig davon, ob jemand öffentliche Überlegungen darüber anstellt, ob Menschen ins Kino, ins Theater oder ins Museum gehen können sollten oder eher doch nicht. Wer dies in einem Kulturland wie Österreich tut, wer infrage stellt, dass alle Menschen unabhängig von ihrer jeweiligen Einkommenssituation Zugang zu Kulturerlebnissen haben sollen und wer eine Kulturform wie Kino als ohnehin „nicht überlebensnotwenig“ erachtet, der desavouiert sich selbst, der stellt sich letztendlich höchst selbst ins Eck der Unkultur.
Auf dass sich Ihr Blick weiten möge!
Wiltrud Hackl
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