wiltrud katherina hackl


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Gestern abend raunte mir der Wunderbare von der Couch aus zu: „Die tun so, als hätten Männer einen Gendefekt, mit dem Frauen halt leben müssen“. Mit ‚die‘ war in erster Linie der Anwalt Alfred Noll gemeint, der in einer Ausgabe der ORF Sendung Im Zentrum zu Gast war. Ich musste mich im Verlauf der Sendung…

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Sexismus ist kein Gendefekt

Gestern abend raunte mir der Wunderbare von der Couch aus zu: „Die tun so, als hätten Männer einen Gendefekt, mit dem Frauen halt leben müssen“. Mit ‚die‘ war in erster Linie der Anwalt Alfred Noll gemeint, der in einer Ausgabe der ORF Sendung Im Zentrum zu Gast war. Ich musste mich im Verlauf der Sendung mehrmals vergewissern, was genau das Thema dieser Sendung war, weil ich das Gefühl hatte, irgendetwas missverstanden zu haben: „Sexismus und Übergriffe – wie typisch ist der Fall Pilz?“ Doch also. Geredet wurde nämlich nicht über Peter Pilz und über den Vorwurf, er habe u.a. im Vollrausch und im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach eine junge Frau angepöbelt und betatscht, sondern in erster Linie darüber, wie es sein kann, dass Vorwürfe wie diese „erst jetzt“ und/oder „ausgerechnet jetzt“ an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Und darüber, bis zu welchem Mass sich Frauen gegen Übergriffe wehren sollten – reicht ein Nein oder darfs ‚a Watschn‘ sein? Und dann war sie plötzlich aus, die Sendung und liess den Wunderbaren und mich sehr ratlos zurück.

Ein Gendefekt, führte er aus, der Männer ab einem bestimmten Alter offenbar dazu zwinge, ihre Männlichkeit dadurch unter Beweis zu stellen, dass sie einfach gschissen zu Frauen sind, vornehmlich zu Frauen, vor denen sie sich eigentlich ziemlich fürchten, weil sie nicht ganz so deppat sind wie sie tun und wissen, dass diese Frauen ihnen demnächst Job, Geld, Einfluss und im schlimmsten Fall auch Frau und/oder Freundin wegnehmen werden. Und ihnen, den alten „mächtigen, gerade noch einflussreichen“ Männern, nicht viel bleiben wird. Nichts so wirklich wichtiges wie Integrität und Stolz jedenfalls. So recht der Wunderbare hatte, so wenig Sinn macht es, „wenn du es mir auf der Couch zuraunzt“, antwortete ich ihm und bat ihn, etwas gescheites wie dies baldigst auch einmal öffentlich zu sagen. Viel zu wenige gescheite, coole und wunderbare Männer melden sich aktuell zu Wort. Und viel zu viele, die Twitter und Facebook mit einem Besuch in der Selbsthilfegruppe für Alkohol- und Männlichkeitsproblematiken verwechseln. Von dieser Verwechslungsgefahr sind viele betroffen, es hat weder mit der politischen Ausrichtung zu tun, noch mit dem Alter oder der sozialen Zugehörigkeit. Es hat – den Reaktionen auf twitter und facebook nach zu urteilen – in erster Linie damit zu tun, ob sich jemand in der Erniedrigung anderer besser fühlt oder nicht. Ob jemand wertschätzend kommunzieren kann oder nicht. Und ob jemand gelernt hat, dass seine Ängste und sein Kummer nicht unbedingt und zwingend an die Öffentlichkeit müssen oder eben nicht.

Manche – darunter Menschen, die ich aufrichtig schätze –  meinen, es sei jetzt aber genug. Oder: die #metoo Aufregerei führe doch an den echten Problemen vorbei, am „echten Sexismus“. Sie meinen, die Diskussion über realen, alltäglichen Sexismus liesse keinen Platz für eine Diskussion über strukturellen Sexismus, der dafür sorgt, dass Frauen großteils weniger verdienen als Männer, aktuell frauenverachtende Burschenschafter über die gesellschaftspolitische Zukunft Österreichs entscheiden oder Frauen öffentlich weniger sicht- und hörbar sind als Männer. (Und selbst wenn sie zu einer TV Diskussion wie Im Zentrum, eingeladen werden, dort sogar in der Mehrzahl sind, es Männer wie Alfred Noll dennoch nicht auf die Reihe kriegen, einfach mal zuzuhören). Und ja, tatsächlich war auch ich bis vor wenigen Monaten davon überzeugt, dass meine Generation die letzte war – vielmehr sein musste – die „Gewalt gegen Frauen“ in Seminaren nicht auf einer strukturellen sondern auf einer realen Ebene abhandeln musste. In den späten 1980er Jahren war das und es macht mich mehr als verzweifelt, dass wir 30 Jahre später auf demselben Niveau, demselben Terrain mit derselben Rohheit und Dummheit konfrontiert sind wie damals. Teilweise von denselben Typen, die uns schon damals, noch im alten Chelsea etwa, mit ihren pubertären Anmachwitzchen auf die Nerven gingen. Heute sind die Witzchen postpubertär, die Typen haben ein echtes Alkoholproblem und noch immer ein ganz massives mit Frauen. Ja, tatsächlich hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich immer noch mit Schmatzgeräuschen und spitzen Lippen in meine Richtung rechnen muss, wenn ich abends ausgehe. Dass Bankdirektoren lieber ins Dekolletee glotzen als auf  Interviewfragen zu antworten. Dass betont werden muss, wie wenig eine Einladung zu einem Privat- und Exklusivinterview „a bissi später“ eine Option ist, ebensowenig wie ein Streichler über die Schulter und die Ansage, der neue Chef sei eh ein Kumpel von ihm, dem hochrangigen Politker, und ‚eine wie ich‘ brauche sich da gar keine Sorgen zu machen.

Yep, tatsächlich war ich mir sicher, im Jahr 2017 reden wir über ganz andere Dinge wie gendergerechte Bildungspolitik, weibliche Bundeskanzler oder Xenofeminismus. Darüber würde ich viel lieber schreiben und reden. Allein – wir sehen – es wird wohl nicht aufhören, nur weil wirs ignorieren. Manche Männer benehmen sich wieder und immer noch wie in der Unterstufe damals im Provinzkaff, genauso wie manche Frauen, die schon damals meinten, ‚Zicke, stell dich ned so an‘ oder ‚der meint des ja ned so‘ und mit ihrer überbetont burschikosen, männerverstehenden Art sich mit den Aggressoren in einer Weise verbünden, die ihnen – vermeintlich – damals in der Provinz das seelische und mittlerweile in der Stadt das berufliche Leben sichert. Viel, viel lieber hab ich mich damals schon damit auseinandergesetzt, was eine meinem Geschlecht entsprechende Art von beruflicher Karriere sein könnte. Wie würde sich die definieren und vor allem abgrenzen von jener ‚typisch männlichen‘, deren Regelwerk mir als normativ und zu beachtendes verkauft wurde. Ja, ich würde sehr gerne über strukturellen Sexismus reden, lieber als darüber, ob ‚ Sex gegen Job-Angebote‘ vielleicht ‚eh ned so schlimm‘ sind. Und ich bin auch überzeugt davon, dass wir das schaffen, hinaus aus dem Dickicht an hormongesteuerten, angsterfüllten Männern, die ihr Macht- und Alkoholproblem einfach nicht wahrhaben wollen.

Ich bin auch deshalb so sicher, weil wir es trotz der Deppendichte da draussen geschafft haben, uns immer wieder auch mit ganz wunderbaren Männern zu befreunden und zu verbünden. Es gibt sie, die Klugen, die uns nicht ständig als Opfer ihrer Triebe aufhalten und beschäftigen. Sie sind aktuell nur einfach zu leise und sollten sich viel öfter zu Wort melden.

Und, nope: Sexismus ist kein Gendefekt, keine Krankheit, sondern eine bewusste, tagtägliche Entscheidung.

 

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