wiltrud katherina hackl


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Ich stelle hiermit meine Wohnung zur Verfügung. Sie hat 90 m2, drei Zimmer, eine große Küche. Und mein Freund in Israel, dem ich sie angeboten habe, nachdem er mir berichtet hat, dass nun auch direkt vor seinem Haus Bomben einschlagen, sagt, noch brauchen er und seine Familie sie nicht. So ist das eben, versichern wir…

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Was ist los mit dir, Österreich?

Ich stelle hiermit meine Wohnung zur Verfügung. Sie hat 90 m2, drei Zimmer, eine große Küche. Und mein Freund in Israel, dem ich sie angeboten habe, nachdem er mir berichtet hat, dass nun auch direkt vor seinem Haus Bomben einschlagen, sagt, noch brauchen er und seine Familie sie nicht. So ist das eben, versichern wir uns der gegenseitigen Unterstützung, wenn man Freunde ausgerechnet dort hat, wo Krieg herrscht. Man holt die Freunde aus der Gefahrenzone, man beschützt sie, man stellt ihnen das eigene Heim zur Verfügung und fragt nicht, wie lange die Freunde bleiben wollen. Das hat Österreich sehr oft so gemacht – als Menschen aus Exjugoslawien (90.000), Ungarn (180.000) und aus Vietnam (etwa 2.100) in Österreich Sicherheit und Respekt vorfanden.

Mir ist bewusst, dass ich in Bezug auf die Selbstverständlichkeit, mit der Fremde zu Freunden werden können, sehr privilegiert aufgewachsen bin und ich keineswegs nun von anderen verlangen kann, mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu agieren. Und manche mögen sagen – na klar, einem Freund würd ich doch auch jederzeit meine Wohnung anbieten. Allerdings stimmt das so nicht, denn ich habe mir die Freundschaft zu vielen Menschen nicht ausgesucht sondern mich vielmehr bedingungslos darauf eingelassen, als sie noch Fremde waren. Etwa auf die junge Frau, die vor einigen Jahren mit ihrer Familie in der Wohnung neben uns einzog. Sie waren damals Asylwerber, zumindest war das ihr „offizieller Status“, wie es grauenvoll unpersönlich heißt. Weil ich mich der jungen Frau verbunden fühlte, vor allem aber weil ich mit ihr hervorragend lachen und feiern konnte, ist aus Nachbarschaft eine Freundschaft entstanden. Ich und meine Schwestern sind umgeben von „Fremden“ aufgewachsen, allerdings wurden sie niemals so genannt, sie waren Gäste, später Freunde und fanden für eine Weile bei uns ein Zuhause: ein kroatischer Lehrer, der in den 1990er Jahren für Wochen und immer wieder bei uns lebte, weil in seinem Heimatland Krieg herrschte und sein Dorf zerbombt war. Eine vietnamesische Familie, die in den 1970er Jahren in unsere Kleinstadt kam und der unser Vater Grundkurse in Deutsch gab.

Kurzum: wir sind im Bewusstsein aufgewachsen, dass es nichts Außergewöhnliches sondern eine Selbstverständlichkeit ist, anderen beizustehen, wenn diese in Not geraten. Wie viele andere auch, die zu einer Zeit erzogen wurden, als es in Österreich noch nicht als Krise, als Drama oder Notstand empfunden wurde, Menschen in Not beizustehen. Zurzeit sind weltweit unvorstellbare 51 Millionen Menschen in einer ebenso unvorstellbaren Not, sie flüchten vor Kriegen, mit denen sie nichts zu tun haben, in die sie nur geraten, weil sie nicht das verdammte Glück hatten, in einem so privilegierten Land wie Österreich zur Welt zu kommen. Ich höre nun Landeshauptleute reden, die sich in Phrasen ergehen, wenn es darum geht, einem winzigen Bruchteil dieser Millionen – 13.000 – Unterschlupf, ein Dach, Sicherheit und vor allem Respekt zu geben. Es macht mich wütend, ich bin fassungslos über dieses unempathische Zögern, dieses kaltschnäuzige Abstreifen jeglicher Verantwortung, die auch viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Bürgerinnen und Bürger an den Tag legen, die mehr Energie darin setzen, eine Ausrede nach der andern zu finden, warum Menschen (wie wir!!!) nicht aufzunehmen sind, in ihrer kleinen Gemeinde, ihren kleinen leer stehenden Hotels und kleinen Turnsälen, als sie Energie darin setzen, Menschen rasch und würdevoll beizustehen. Für 51 Millionen Menschen ist der „Lange Tag der Flucht“, mit dem das UNHCR am 26.9. an das Schicksal von Flüchtlingen gemahnt nur einer von entsetzlich vielen unfassbar langen Tagen. Für Österreich und die aktuelle entwürdigende Diskussion ist er ein Schlag ins Gesicht. Denn hier wird allen Ernstes und in aller Seelenruhe darüber diskutiert, welche Gründe es gibt, Flüchtlinge nicht aufzunehmen. Österreich ist schrecklich kleinmütig geworden, ängstlich und engstirnig. Irgendetwas ist passiert in den letzten Jahrzehnten, eine grauenvolle Entwicklung, die unmutige, phrasendreschende Politiker und Politikerinnen gebiert, die von Krise und Notstand sprechen, wenn es um einen Bruchteil jener Flüchtlinge geht, die Österreich vor Jahrzehnten bereit war aufzunehmen, anstatt Bürgern und Bürgerinnen zu verdeutlichen, wie wichtig soziale Verantwortung ist und wie wenig diese zur Diskussion gestellt werden kann oder verhandelbar ist.

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