wiltrud katherina hackl


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Der Begriff „Hochhausturm“ ist eigentlich ein Pleonasmus. Ein Hochhaus ist selten kein Turm. Im Fall des Gebäudes mit der Anschrift „Lunzerstrasse 42“ erfährt dieser „Hochhausturm“ allerdings seine eigenständige Bedeutung. Denn hier türmt sich ein Hochhaus, hier wächst es sich zu einem Turm aus, wiederholen sich mit jedem Stockwerk die Zuschreibungen, Aufladungen, Bedeutungen, die in einem…

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Spielen mit dem Abbruch

Der Begriff „Hochhausturm“ ist eigentlich ein Pleonasmus. Ein Hochhaus ist selten kein Turm. Im Fall des Gebäudes mit der Anschrift „Lunzerstrasse 42“ erfährt dieser „Hochhausturm“ allerdings seine eigenständige Bedeutung. Denn hier türmt sich ein Hochhaus, hier wächst es sich zu einem Turm aus, wiederholen sich mit jedem Stockwerk die Zuschreibungen, Aufladungen, Bedeutungen, die in einem einzelnen Hochhaus schon abweisend genug wären. Verdichten sich zu betongewordenen Behauptungen und Eckpfeilern einer „Unterbringungspolitik“: Lehrlinge, Arbeiter, Asylsuchende waren in den letzten vierzig Jahren in diesen 11 Stockwerken untergebracht. Im Rahmen des Projektes „Was war ist“ (Kunstuniversität Linz, Experimentelle Gestaltung, Projektleitung Hubert Lobnig) greifen Jakob Breitwieser, Stephanie Farkashazy und Matthias Lindner diese räumlichen Redundanzen auf und führen sie einer veränderten Betrachtung und Bedeutung zu. Sie bespielen ein ganzes Stockwerk, besser gesagt: sie spielen mit einem ganzen Stockwerk. Ausgangsmaterial ist das Vorhandene: Die Kästen aus Resopal samt dunkelbrauner Furnier, Bettgestelle, Lampen, orangefarbene Schreibtischplatten, grüne Metallgestelle der Sessel und so weiter und so fort – ihnen wohnt nicht nur eine Erinnerung an eine ganz bestimmte Zeit inne, sondern sie bilden als Wiederholungen und für jedes Zimmer gültige Regeln eines Geschmacksempfindens einen dumpfen, rhythmischen, stampfenden Boden, aus dem das Einheitliche, das Kollektive, das überstülpende Vereinigende ihre Daseins-Berechtigungen gewinnen. Lindner, Farkashazy und Breitwieser reißen im wahrsten Sinn des Wortes diese Einzelteile aus ihren Umgebungen, ordnen und bauen neu, schaffen einen neuen, notwendigen Kontext. (Ein völlig andere Arbeit kommt in den Sinn: jene des Bildhauers und Aktionskünstlers Heinz Baumüller, der mit AAADDEEEEFIIILLLLLRSSSSTTTWW nichts anderes tat, als Wittgensteins „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ neu zu ordnen, und damit die Behauptung einer Form von Überprüfung unterzog.)

Die drei jungen Kunstschaffenden bedienen sich also der vorhandenen Elemente und gehen akribisch und sorgsam Raum für Raum durch. Sie dekonstruieren, ordnen Materialien jeweils einem Raum zu, gestalten, verbinden, kontextualisieren neu, finden eine Sprache für jeden Raum: so entsteht etwa ein „Kletterraum“, mit einem Gerüst aus den Unterteilen der vorhandenen Schreibtische. Ein „Polsterraum“, in dem Polster für Polster auf- und übereinander gestapelt sich zum Fenster hin verengen oder ein Raum, in dem Kästen zu einem Labyrinth gestapelt und positioniert wurden. Ein Raum bleibt versperrt, einer so, wie ihn die drei vorgefunden haben. Einen Raum haben die Studierenden abgetragen – nur die Türe blieb wie und wo sie war. Der „Moosraum“ sollte sich begrünen und im „Filetraum“, der nur durch den Türspion zu besichtigen ist, stapeln sich „filetierte“ Matratzen. Und in einem anderen Raum wurden die Stockbetten so eng gestapelt, dass ein Schlafen zwar gerade noch möglich, allerdings denkbar unbequem ist. Insgesamt 19 Räume, die im Grundriss unverändert blieben, erinnern und verweisen somit auch an die Geschichte der hier größtmöglich isoliert am äußersten Rand der Stadt untergebrachten Menschen. Mit den Spuren, die diese hinterließen – Fotos, Zeitungsausschnitte, Ausweise, persönliche Hygieneartikel – bestücken Jakob Breitwieser, Stephanie Farkashazy und Matthias Lindner einen weiteren Raum. Er wird zu einem kleinen, höchstpersönlichen Museum, eine Erinnerungsstätte an jene Menschen, und ihre Geschichte(n), die nun mit dem Abbruch des Hauses verschwinden. Es ist eine besondere Form, sich der Geschichte eines Gebäudes über die vorhandenen Materialien zu nähern. Sie von ihrer emotionalen Aufladung und Ambivalenz zu befreien, sie fast wissenschaftlich zu sortierten und zu untersuchen und sich nicht zu schnell von der augenscheinlichen Dramatik und Widerwärtigkeit des Ortes vereinnahmen zu lassen. Es ist ein Umweg über Nüchternheit und Klarheit, den Lindner, Farkashazy und Breitwieser mit der Bespielung des 8. Stockwerks im Haus Lunzerstrasse 42 nahmen, und es erweist sich, dass den einzelnen Räume gerade dadurch eine besonders authentische und emotionale Erzählung abgerungen wurde.

 

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