Lecture Performance anlässlich der Veranstaltung DER GARTEN DANACH, Hollabererhof, 9.7.2021
MermaidMikroben
Ende des 18. Jahrhunderts hat sich Karl Friedrich Hensler in Wien daran gemacht, die Sagengestalt des Donauweibchens in ein romantisches Märchen mit Gesang zu verpacken, die Musik komponierte Ferdinand Kauer. Wenig später schreibt Christian Vulpius „Hulda, die Nymphe der Donau, eigentlich Saal-Nixe genannt“, verfrachtet sie also in den Osten Deutschlands, nach Weimar, in die Saale. Die Saale und die Donau haben keine Verbindung – die Nixe musste also über Land.
Nixen und Wasserfrauen sind Allgemeingut – weltweit, auf jedem Kontinent, in jeder Kultur gibt es Wasserfrauen, Nixen, Undinen, Melusinen, Sirenen – sie scheinen für jede Kultur also von Bedeutung zu sein. Als mir Christoph (Wiesmayr, Architekt, der Hollabererhof ist sein Elternhaus, er errichtet aktuell eine „Klimaoase“ am Grundstück, Anm. WKH) diese Grube hier zeigte und ich die Schicht von feinem Donausand entdeckte, musste ich sofort an das Donauweibchen denken. Hier – wo wir stehen, war einst eine Aulandschaft, ein „schwemmland“, wie Christophs Verein ja auch heisst. Wir stehen im Linzer Bezirk Lustenau, es war eine Ausflugslandschaft, mit Wirtshäusern, Heurigen, Fischern, Booten – auch vom Hollabererhof konnte man mit dem Boot wegfahren, erzählte Christophs Papa einmal. Spätestens nach dem Hochwasser 1954 war es allerdings ganz aus mit der Lustenau, die Donau erfuhr eine weitere Regulierung und entfernte sich vom 500 Jahre alten Hof der Donaufischerfamilie.
Energieerzeugung, generell Ökonomisierung, Schiffbarmachung, Industrialisierung und Schutz vor Hochwasser sind die häufigsten Gründe, warum Ströme wie die Donau reguliert werden.
Wasser macht Angst, muss beherrscht werden, urbar gemacht werden – und was bringt schon so eine Aulandschaft? Sie ist dunkel, sumpfig, Wasser generell kann Angst machen, wenn es unkontrolliert steigt oder fliesst – und da sind wir schon wieder beim Donauweibchen.
In Henslers Märchen wird Albrecht, Ritter vom Waldsee, von einem Knappen gewarnt – vor dem Wasser und natürlich vor Hulda
„Hütet euch vor dem Wasser, gestrenger Herr! die Nixen setzen einem gar gewaltig zu – meine selige Mutter – ja hört nur, was ich euch von einer solchen Nixenerscheinung erzählen will.
Einst gieng ein junger Rittersmann
Lustwandeln an des Flusses Strand,
Da sprach ein Mädchen sanft ihn an,
Und nahm ihn lächelnd an der Hand.
Sie sang ihm süsse Liedlein vor,
Der Ton bezauberte sein Ohr –
Ihr holdes Wesen reizte ihn,
Entzückte seinen Liebessinn.
Und als er so mit Liebesgluth,
Sich schloß an ihre weiche Brust,
So zog sie ihn – husch! in die Fluth,
Zu Wasser ward die Liebeslust.
Was sonst geschah, das weiß man nicht,
Nur so viel meldet die Geschicht,
Daß er nachher in einem Jahr
Des Satans Spießgeselle war.
Das Donauweibchen – Ein romantisch-komisches Volksmärchen mit Gesang – in drei Aufzügen, nach einer Sage der Vorzeit für die k. k. priv. Marinellische Schaubühne von Karl Friedrich Hensler. Die Musik ist von Herrn Ferdinand Kauer, Musikdirektor. Wien. 1798.
Andere Sagen und Märchen erzählen vom Donauweibchen als eine Nixe, die mit ihren Schwestern und dem sehr strengen Vater am „Grunde des Donaustroms“ in einem riesigen grünen Palast lebt. Hier holt sich das Donauweibchen hübsche junge Fischer, zieht sie in die Tiefe, bei Hensler bzw. Vulpius will sie nur eine Affäre mit Ritter Albrecht vom Waldsee, ein Angebot, das in beiden Fällen dem Ritter offenbar zu progressiv scheint.
Auch die Geschichten von Wasserfrauen und Nixen an anderen Flüssen wie die Loreley am Rhein, die schöne Lau im Blautopf oder La Llorona, die in Flüssen in Mexiko ihr Unwesen treibt erzählen seit Jahrhunderten im Grunde eine Geschichte: die Angst der Menschen vor den Untiefen des Wassers und besonders berichten sie von der Angst der Männer vor den Untiefen weiblicher Wasserwesen und vor einer Form von Weiblichkeit, das nicht einem patriarchalischen Konstrukt entspricht und sie demnach womöglich nicht zu bändigen wissen.
Um diese Angst zu bändigen, wird trocken gelegt, werden Ströme kontrolliert, ungehindertes Fliessen ist nicht erwünscht. Kanalisation, Staudämme, Schleusen – das sind Bauwerke, die sehr martialisch, meist in Stein und Beton, eine Marke setzen in der Landschaft. Da hört etwas auf, da wird etwas gebremst, da wird etwas steuerbar gemacht, umgelenkt, durch Menschen (=Männer)hand.
Das ist auch, was sich die männlichen Begleiter von Wasserfrauen so sehr wünschen – dass sie sie kontrollieren können und natürlich scheitern sie daran:
„Das kommt davon, wenn Gleich sich nicht zu Gleich gesellt, wenn Mensch und Meerfräulein ein wunderliches Bündnis schließen.“
Sagt Huldbrand zu Undine (de la Motte-Fouqé, 1811, Reclam, 2019, Seite 82f), als er merkt, dass sie ein Wasserwesen bleiben wird, dass sie zwar die Wassermassen auf einer stürmischen Schifffahrt auf der Donau kontrollieren und besänftigen kann, aber eben durch Zauberhand, etwas, das Huldbrand nicht nachvollziehen, nicht verstehen kann und wofür er Undine schliesslich auch verstößt, aufhört, sie zu lieben.
Was Männer / Menschen nicht verstehen, wird negiert, zum Verstummen gebracht, wird verstoßen, repräsentiert das Randständige.
An dieser Stelle deshalb ein paar Fakten:
11: laut WWF verschwindet in Österreich täglich der Lebensraum von über 11 Millionen Regenwürmern unter einer Betonschicht oder wird zerstört
4,5: 4,5 Milliarden – statt wie 2002 veranschlagt 1,9 wird der das Strassenstück Lobautunnel an Steuergeld kosten
19: 19 Kilometer Asphalt und ein 8,2 Kilometer langer Tunnel sollen sich durch bzw. unter dem Naturschutzgebiet ziehen.
Unbezifferbar: unbezifferbar sind die Auswirkungen unterirdischer Versiegelungen wie tiefe Keller, Tiefgaragen, Pools oder eben Tunnel, die intakte unterirdische Flüsse und Wassersysteme unwiederbringlich zerstören bzw. sie in ihrem Fluss stoppen. Auch ein riesiger unterirdischer Wasserspeicher könnte durch einen undichten Lobau-Tunnel kontaminiert werden.
Die Nixen und Wasserfrauen hatten da immer schon so eine Ahnung, dass das mit den Menschen und vor allem mit den Männern einfach nichts mehr wird: in Vulpius Version zieht Hulda am Ende sehr nüchtern Bilanz:
„Albrecht! Du hast die Probe schlecht bestanden. Ich vergebe Dir. Dein Verderben kann ich nicht wollen, da mein Herz dich liebt. Du bist ein Mensch, ängstlich, wie sie alle sind, diese eingebildeten Herren der Schöpfung. – Ich gebe die Verbindung mit Menschen auf. Sie sind nicht geschaffen, sich zu vereinigen mit bessern und feinern Wesen.“[1]
Man sieht schon – die Nixe könnte zur Verbündeten werden, wenn es um Wasserschutz, Klimaschutz und Umweltschutz geht.
Sie hat jeden Grund dazu, denn ihr Lebensraum wurde – wie hier – zerstört und wir sind weltweit dran dabei, immer mehr Flüsse zurückzudrängen. Für das Altamira Staudamm Projekt in Brasilien etwa wurden indigenen und bis dahin autonom lebenden Gemeinschaften die Lebensgrundlage vollständig entzogen. Sie wurden umgesiedelt und können nicht mehr als Fischer tätig sein, der Dschungel – der ihnen alles geboten hat, was sie gebraucht haben, wurde zerstört. Auch Franz Wiesmayr ist der letzte Berufsfischer auf der Donau in Linz.
Es geht aber natürlich nicht allein um wirtschaftliche Interessen, es geht darum, was dieses Stauen mit uns als Menschen macht. Wenn nichts mehr fliesst, wo treibt es uns dann noch hin – woher kommen die Erzählungen, die Tagträume, die Bilder und Ideen, die eine Gesellschaft braucht, um sich fortzubewegen.
Die Angst vor dem Hochwasser, die Angst vor dem verführerischen, dunklen Wasser, in das einen die Nixe ziehen könnte, hat uns Menschen zum Äussersten, zum Stocken gebracht. Wir stecken fest, wir trocknen aus. Wer die Erde wie Bruno Latour als einen Organismus sieht, in dem alles mit allem verbunden ist, weiss, dass das keine allzu gute Idee ist, denn, wie Latour in seinem „terrestrischen Manifest“ meint: wir sollten landen, „erdhaft“ und damit „welthaft“ werden. Ich meine ja, wir sollten nicht nur landen, wir sollten eintauchen und uns auf die Suche nach den Nixen machen.
Wasserfrauen jedenfalls existieren: als Angebote, als Möglichkeiten, als Erinnerungen, möglicherweise als Utopien, als Denkmöglichkeit, als Möglichkeit, zwischen Land und Wasser zu wechseln und als Idee, wie Auflösung und Verwandlung in andere Elemente nicht den Tod sondern ein blosses Übergangsstadium bedeuten können. Hier im Donausand, wo die Au irgendwann einmal war, könnte sich das Donauweibchen konserviert haben und führt ein Leben einmal nicht als Meerschaeum wie Andersens kleine Meerjungfrau, sondern als MermaidMikrobe, wer weiss.
Noch einmal kommt zum Schluss die Undine zu Wort:
„Wir, und unsresgleichen in den andern Elementen, wir verstieben und vergehen mit Geist und Leib, dass keine Spur von uns rückbleibt und wenn ihr andern dermaleinst zu einem reineren Leben erwacht, sind wir geblieben, wo Sand und Funk‘ und Wind und Welle blieb.“[2]
[1] https://digite-sammlungen.llb-detmold.de/content/pageview/3176029, S.264
[2] Undine, Friedrich de la Motte-Fouqué (1811), S.47, Stuttgart 2019