Gedanken zur Eröffnung der Ausstellung ZIRKULATIONEN in der Galerie der KUNSTSCHAFFENDEN am 6.4.2021 | ANDREA LEHMANN | REINHARD WINKLER | TANJA BRANDMAYR | ISA RIEDL
Wie es im Einleitungstext heißt, geht es in dieser Ausstellung um flüchtige Berührungspunkte und Spuren von Zufälligkeit – wie aber kann der Zufall Spuren hinterlassen? Und wie berührend kann etwas Flüchtiges sein? Von Widersprüchlichkeiten dieser Art erzählt die Ausstellung, auch vom Gemeinsamen, natürlich, aber man darf doch und soll womöglich hinter die verlockenden allzu stimmigen Übereinstimmungen blicken. Alle Arbeiten hier haben auf die eine oder andere Art miteinander zu tun, sind verwandt, lösen Assoziationen aus, erinnern sich. Erinnerung aber ist nicht das Gemeinsame – im Gegenteil, wie oft erinnern wir uns völlig unterschiedlich an gemeinsam Erlebtes. Übereinstimmenden kollektiven Erinnerungen ist meist zu misstrauen, Erinnerung ist ein höchst privater, sehr persönlich eingerichteter Rückzugsort. Und dennoch erinnert uns an den Bildern, die andere erzeugen – von uns, von sich, von der Welt – so viel an uns. Wir fühlen und sehen uns repräsentiert in diesen Bildern, wir spiegeln uns. Sie ähneln sich manchmal so sehr, dass es scheint, es wären uns die eigenen, höchstpersönlichen Bilder ausgegangen, als wäre es gut und notwendig, dass wir eine Hand in das Bild der anderen stecken, oder einen Fuß, um herauszufinden, wie heimelig oder un-heimelig es sich darin anfühlt. Ob wir noch sind, was wir glauben zu sein, wenn wir uns im Bild einer anderen verorten. Ob wir uns loslassen können und zur anderen werden können, eine Zeitlang. Und dann ziehen wir womöglich in diese Bilder ein, leben ein bisschen in diesen Bildern.
Am Anfang dieser Ausstellung sind eine Fotografie von Reinhard Winkler in schwarz weiß, sie zeigt Häuser im Vorort, Häuser aus den 60er oder 70er Jahren, in einer der Vorstädte von Linz – St. Martin – Häuser, deren Heimeligkeit sich darin begründet, dass sie eine gemeinsame Erinnerung an Unheimeligkeit auslösen. Und ein Bild von Isa Riedl, das ohne vom anderen zu wissen eine Verbindung herstellt zu dieser Fotografie: Im Hintergrund und wie von einem weißen Schleier verhüllt – einem Fehler auf dem Film, der auf die Leinwand übertragen wird, zeigt sie eine Regenrinne, Straßenlaternen und Dachansätze, ein weiteres Bild von Isa Riedl zeigt zwei Vorstadthäuser, die wiederum in ihrem Verhältnis zueinander und in ihrer Unspektakularität Winklers Fotografie ähnlich zu sein scheinen.
Und so greifen die einzelnen Arbeiten, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, ineinander über und ein, lösen sich aus, bedingen sich, ähneln sich und die Geschichte wäre also rasch erzählt. „Zirkulationen“ aber ist und zeigt mehr als die bloße Wiederholung von Berührungen, Zitaten, Impulsen und Anknüpfungen, die Künstler:innen über Generationen hinweg ohnehin vereint. Der Titel nimmt es vorweg – man darf und will sich gegenseitig anstecken, temporär zusammenarbeiten, sich austauschen, etwas in Umlauf bringen. Grenzen ausloten. Tanja Brandmayr dies mit ihrer performativen Textarbeit Innenraum Lavinia zum Ausdruck. Wo beginnt ICH, wo endet es, wo beginnt die Maske, wo schreibt sich das Ich in die Maske ein. Wo endet das sich wiederholende Muster des Vorhangs und wo beginnen die Lebensgeschichten der Frauen, der Philosophinnen und Autorinnen, die Andrea Lehman den Mustern einschreibt. Es geht um Verschlingen, um Ineinander übergehen, um Körperlichkeit – wie auch in der Fotoserie von Reinhard Winkler mit Tanja Brandmayr und Andrea Lehmann zu sehen.
Zusammenarbeiten, Bezüge finden, Bezugssysteme errichten – das sind Themen, die möglicherweise gerade in Zeiten der Krise an Bedeutung gewinnen. Spannend werden sie, wenn sie wie in dieser Ausstellung über reine Kollaborationen hinausgehen, wenn Bilder, Objekte, Texte für eine körperliche Erweiterung stehen: dann werden diese Arbeiten zu Membranen, durch die die jeweils Andere hinaus- und hineinschlüpfen, Platz in der Anderen nehmen, die Andere werden kann. Dann wird aus dem Spiegeln ein Spiel, dem ein völlig neues Bezugssystem entspringen und das wiederum in anderen Bezugssystemen zirkulieren kann.
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