Als die kleine Meerjungfrau in Hans Christian Andersens gleichnamigem Märchen sich entschließt, an Land zu gehen, um einen menschlichen Prinzen dazu zu bringen, sich in sie zu verlieben, bringt sie davor zwei bedeutende Opfer – sie wird doppelt beschnitten bzw. kastriert: ihr Fischschwanz teilt sich und es wachsen ihr Beine, und sie muss der Seehexe ihre Zunge geben, verliert also ihre Stimme. Die weibliche Stimme, ihr Verlust, ihre Bedrohung bzw. erzwungenes Schweigen sowie Sprechverbote begleiten Wasserfrauen* seit Homers Sirenen, vor deren Stimme Odysseus sich und seine Männer schützen musste, und durchziehen Jahrhunderte europäischer Kulturgeschichte. Nicht immer und nicht zwingend eine Erzählung, die zu Ungunsten der Wasserfrauen* ausgeht, im Gegenteil sind deren Stimmen häufig durchaus mächtige, kräftige, solche, die als Waffe eingesetzt oder solche, die niemals wieder vergessen werden können. Frauen, zum Schweigen gebracht, Frauen um ihre Stimme gebracht, Frauen, ihrer Stimme beraubt – das sind hingegen Themen, die weibliche Identitäten in der Realität begleiten. Wer genau hinhört, erkennt schnell den Überhang an männlichen Stimmen, Inhalten und patriarchalen Allmachtsphantasien, die sich aktuell parallel zum Bedrohungsszenario eines weltweit sich verbreitenden Virus‘ entwickeln. Besonders in der Krise werden offensichtlich geschlechterbezogene Bilder entworfen bzw. aus der noch gar nicht so verstaubten Schublade hervorgeholt und kommuniziert, die naturalisieren, Geschlechterdifferenz wird biologistisch vermittelt, das scheint Sicherheit zu geben, wo doch ohnehin alles ins Schwanken gerät. Das bedeutet für jene, die sich einem weiblichen Geschlechterkonstrukt zugehörig fühlen, dass sie eher als versorgend, eventuell mütterlich, verständnisvoll, vor allem aber leise, nicht zu laut jedenfalls dargestellt werden, (das bezieht sich offenbar auch auf ihr mediales Auftreten und „laute“ Lippenstifte, wie ein Blick durch Auftritte österreichischer Politikerinnen im ORF der letzten Tage zeigt). Frauen sind hierzulande also vor allem in Krisenzeiten im häuslichen und familiären Umfeld gefragt, dafür werden sie auch als Heldinnen gefeiert: arbeiten, pflegen, organisieren, versorgen, Home-Office betreiben, Kinder unterrichten, Brot backen, Masken nähen.
Diese Masken, die uns als eines der Symbole des Jahres 2020 in Erinnerung bleiben werden, bezeichnen auf den zweiten Blick viel mehr, als uns im Nachhinein lieb sein wird, befürchte ich.
Sie beschreiben nicht allein eine Trennlinie zwischen Innen und Außen, zwischen Krankheit und Gesundheit, stehen sinnbildlich für die Bereitschaft zum nationalen Schulterschluss oder seiner Verweigerung, sie stehen – als räumliche Verhüllung der Hälfte unseres Gesichtes – fast für Heterotopien, auf, in und mit denen wir uns gleichzeitig vereinheitlichen und trennen/ordnen – in jene, die sie tragen und nicht, in jene, die sie richtig tragen und falsch, in jene, die sie kaufen (müssen) und jene, die sie selbst herstellen (können). Tageszeitungen fordern Leser*innen auf, „ihre Masken zu zeigen“ und machen aus einem Wegwerfprodukt, das Andere vor einem schützen soll, ein Schmuckobjekt, mit dem man sich wortwörtlich vor Anderen zeigen lassen kann. Wurde vor einem Jahr noch ein Vermummungsverbot erlassen, um jene, die sich dem Zugriff des Staates durch Verhüllung entziehen, zu identifizieren und zu bestrafen, fordert dieser Staat das Verhüllen heute ein, es erscheint nicht nur als oberste Bürger*innenpflicht, sich zu verhüllen, es sei auch „schön, zu sehen, wie viele Menschen in Österreich sich mit Freude daran machen, diese Masken selbst herzustellen“, hört man. Was deutlich macht, worum es unter der dünnen Schicht aus der natürlich legitimen und notwendigen Argumentation des „Schutzes der Anderen“ darüber hinaus geht: Es ist eine Inszenierung, eine Aufladung eines Objektes mit einer Bedeutung, die weit über den eigentlichen Sinn der Benutzung hinweg geht, als wolle man dafür sorgen, dass sich die Bevölkerung diese selbstgenähten Masken wie kleine Trophäen und Erinnerungsstücke noch für Generationen bewahrt, auch deren Geschichte dazu lange erinnert, ein Held*innennarrativ natürlich, ein Objekt tiefster Bürgerlichkeit, das so von den Anderen, die weder Nähmaschine noch Stoff zur Verfügung haben noch der Kulturtechnik des Nähens mächtig sind, trennt und unterscheidet. Die Masken werden zu Prothesen, die über den Anpassungswillen eines jeden, einer jeden Bürgerin erzählt, während die Träger*innen zu schweigenden Objekten werden, die leise durch die Gänge der Supermärkte ziehen und still versuchen, sich auf den viel zu schmalen Gehsteigen nicht zu nahe zu kommen. Hätte es gereicht, zu sagen: bindet euch ein Tuch um den Mund, haltet euch ein Taschentuch vor Nase und Mund, niest andere nicht an, spuckt nicht aus, hustet in Taschentücher, geht nicht Joggen, wenn ihr dabei keuchen müsst? Wahrscheinlich nicht, die Wirkung der Masken ist medizinisch unbestritten und doch muss die Wirkung des Objekts von dieser gesellschaftspolitischen und viel mehr noch seiner emotionalen Aufladung getrennt werden. Diese Aufladung ist nicht notwendig. Warum findet sie dann statt? Darauf kann es nur eine genderpolitische Antwort geben. Noch fehlen Zahlen, aber ich hoffe, es wird sie geben, weil sie wichtig sind, um sich für kommende Katastrophen, Pandemien, Natureiereignisse als Staat so zu rüsten, dass deren Eintreten nicht gleichzeitig einen Rückfall in geschlechterbezogene Ungleichheiten bedeutet. Die dafür notwendigen Zahlen wären leicht zu erfragen: wer bleibt zu Hause und erfüllt reproduktive Tätigkeiten wie Nähen, Kochen, Backen, Kinderbetreuung? Wer verliert in Krisenzeiten ihren/seinen Job, wer erhält ihn gleichwertig zurück, wer hat reale Einkommensverluste in welcher Höhe, wer war davor bereits prekär beschäftigt und muss danach um das bisschen fürchten, das er/sie davor hatte, aber auch: wer erhält wie viele Sendeminuten, welche Expert*innen wurden wie lange zu welchen Themen in Bezug auf Corona befragt etc. und das alles nach Geschlechtern geordnet. Aus diesen Zahlen lässt sich sehr leicht ableiten, wen wir in Zeiten einer Krise zu Gesicht bekommen und wen nicht, wer sichtbar und hörbar ist und wer nicht, wer zu Hause Home-Office und Kinderbetreuung oder wer eben nur Home-Office machen muss, wer also die Welt erklärt und beschreibt und wer die dazugehörigen Symbole näht und backt. Dass Österreich nicht allein geschlechterbedingt, sondern ebenso sozial, einkommens- und bildungstechnisch Ländern wie Finnland zum Beispiel nachhinkt, wird durch Krisen wie Corona und die beängstigende Rasanz, in der sich internalisierte Stereotype und Zuordnungen Platz verschaffen, gut erkennbar. Um diese realen Versäumnisse zu kaschieren, braucht es dann eben Mythen und Held*innenerzählungen, Aneignungen von religiösen Begriffen wie „Auferstehung“ ebenso wie die beschriebene Überhöhung und emotionale Aufladung von Objekten wie Mundschutzmasken.
Ein Land, das strukturell und demokratiepolitisch gerecht funktioniert – auch und erst recht in Zeiten von Krisen – sollte diese Ablenkungsmechanismen und Inszenierungen nicht nötig haben.
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