wiltrud katherina hackl


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So sehr ich den Wunsch nachvollziehen kann, dieser Zeit Positives und Erbauliches abzuringen, so wenig gehe ich d’accord, dass eine Bedrohung und Erfahrung wie Corona als der große Gleichmacher fungieren könnte, wie aktuell vielerorts zu lesen ist. „Alle in einem Boot“ säßen wir, „gemeinsam schaffen wir das“ wird uns mantraartig versprochen, „eine noch nie dagewesene…

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Wer hält uns bloß aus?

So sehr ich den Wunsch nachvollziehen kann, dieser Zeit Positives und Erbauliches abzuringen, so wenig gehe ich d’accord, dass eine Bedrohung und Erfahrung wie Corona als der große Gleichmacher fungieren könnte, wie aktuell vielerorts zu lesen ist. „Alle in einem Boot“ säßen wir, „gemeinsam schaffen wir das“ wird uns mantraartig versprochen, „eine noch nie dagewesene globale Erfahrung“ durchlebten wir. Zwar bedroht uns das Virus allesamt ungeachtet der Differenzierungen, denen wir sonst ausgesetzt sind. Und doch – die Distinktionen, die Brüche zwischen den Menschen werden tiefer, klarer und unmittelbarer. Und sie werden unvermittelbarer. Die Bilder, die uns zu Corona begleiten, zeigen in erster Linie eines: die Katastrophe kann kaum noch vermittelt werden in einer Art, die wir gemeinsam verarbeiten könnten. Orte, an denen wir bis vor kurzem unsere Freizeit verbrachten, werden zu Lagerhallen für Leichen, Märkte zu Zonen, an denen wir uns ungebührlich nahekommen, und Vielen wird zum ersten Mal klar, wie wenig viele mitteleuropäische Städte für Pandemien strukturiert sind – viel zu schmal die Gehsteige, absurd breit die plötzlich leeren Straßen. Wir sind dazu angehalten, uns voneinander fern zu halten, und die Bereitwilligkeit, mit der wir den Auftrag erfüllen, zeigt, dass diese Idee eines „Wir“ ohnehin etwas sehr Abstraktes war. An dieses Mehr an Platz auf den Gehsteigen könnte man sich doch glatt gewöhnen.

Durch die nun auch räumlich sichtbare Distanz werden alle anderen Distanzen deutlicher. Brüche, Ungleichheiten und Unterschiede, die ohnehin nur hilflos und schlecht gekittet scheinen. Wer kann sich wie lange leisten, zu Hause zu bleiben? Wer kann wie gut seine Kinder selbst unterrichten? Wer hat welchen Zugang zu Infrastruktur wie Internet, Strom, Schreibtischen, abschließbaren Zimmern, Gärten, Balkonen, wer hat die notwendige Hardware verfügbar und kann mit Drucker, Laptops und Büchern zu Hause arbeiten und zu Hause die Kinder unterrichten, wer kann mit Techniken wie Kochen, Stricken, Backen, Nähen aufwarten, wer hat ein Tiefkühlfach, wer hat Freunde und Freundinnen, die im Notfall einkaufen gehen? Nie zuvor traten soziale Unterschiede in den letzten Jahrzehnten deutlicher zutage, nie zuvor waren die Auswirkungen gravierender. Wessen Kinder werden im nächsten Schuljahr durch fehlendes Wissen auffallen – weil zwar die Unterrichts-Orte, nicht aber die Unterrichts-Inhalte der Situation angepasst wurden? Wer wird den Ausnahmezustand grade mal überlebt haben, wer konnte die Wochen nutzen, um sich, das Haus, den Hund, die Kinder zu optimieren? Wer wird seine Privilegien überdacht haben, wer wird sich dessen bewusst geworden sein, in einem Österreich wie diesem schon im Normalzustand nur wenig Chancen gehabt zu haben, im Ausnahmezustand aber spürbar niemals mehr sein wird als der ewige Underdog, dem man nicht bereit ist, mehr als 200,- auf die Mitarbeiter*innenkarte zu buchen, damit die Prämie auch schön im Unternehmen bleibt?

„Wir“ sind längst nicht alle, die hier hackeln, leben, Steuern zahlen. „Wir“ schließt ganz deutlich jene aus, die hier leben und arbeiten, aber keine „Österreicher und Österreicherinnen“ sind. „Wir“ wird nicht mehr hinterfragt, nicht mehr definiert und schon gar nicht mehr erweitert. In diesem „Wir“ ist kein Platz mehr für andere. Nicht für jene, die unsere Alten und Kranken pflegen, und schon gar nicht für jene, die „noch gar nichts geleistet“ haben, um zu diesem „Wir“ zu gehören. Geflüchtete Menschen müssen warten, draußen vor den Toren Europas, in den Lagern, die – davor warnen NGOs seit Jahren – im Fall von Krankheiten zu Todesfallen werden. Damit haben wir uns also ganz deutlich von einem Bild eines „Wir“ verabschiedet, das sich in den letzten Monaten, und wenn es grad politisch verwertbar war, an den vielbeschworenen Maßstäben eines unhinterfragten „christlich-jüdischen Abendlandes“ orientierte. Ein Bild, das uns also ähnlich machte, haben wir schonmal abmontiert. Kommen neue dazu, die uns gleicher machen können? Empfinden und erfahren wir ähnliches, wenn wir Bilder von Eishallen sehen, in denen Leichen lagern, betrifft uns die Angst in ähnlicher Weise, wenn wir Bilder von Seniorenheimen sehen, in denen sterbende Menschen sich selbst überlassen wurden, oder wenn wir Bilder von indischen Slums oder griechischen Flüchtlingslagern sehen, in denen sauberes Wasser ebenso wie Seife nicht vorhanden und social distancing nicht durchführbar ist? Waren diese Menschen sich ähnlicher oder näher als andere, die sich in Aprés Ski Bars infizierten? Wenn Menschen wie Oliver Pocher, Boris Johnson und Tom Hanks mit COVID19 infiziert wurden, hat das etwas mit meiner Nachbarin zu tun, die sich als Ärztin oder Krankenschwester oder Handelsangestellte infiziert hat? Ich bezweifle das. Ganz im Gegenteil. Durch die Erfahrungen der letzten Wochen wird doch vielmehr deutlich, wie wenig wir schon in Europa in „einem Boot“ sitzen und wie wenig wir bereit oder in der Lage sind, in Zeiten tödlicher Bedrohungen ein Mensch zu bleiben, der sich eins im anderen erkennt und sieht. Das Virus führt uns nicht zusammen, es trennt uns noch stärker.

Und es wird für Bilder und Erfahrungen sorgen, die wir weder gemeinsam noch alleine aushalten können. Es wird – das muss befürchtet werden – noch viel mehr Tote geben als wir uns das vorstellen können. Wenn das Virus Länder wie Indien, Länder in Afrika, Städte wie New York oder Rio de Janeiro und Menschen erreicht, denen das „home“ in „stay home“ fremd war und ist, werden wir vielleicht sehen, wie sehr uns dieses Virus trennt, wie wenig demokratisch es ist, weil es wenige Menschen gibt, die Zugang zur besten medizinischen Versorgung haben und sehr viele Menschen, denen er verwehrt wird. Ich frage mich – angesichts dessen, was schon die martialischen Bilder von italienischen Militärtrucks, die Leichen transportierten ausgelöst haben – wie werden wir diese Bilder aushalten? Wo wir doch grade schon alle Energie aufbringen müssen, uns selbst auszuhalten?

Während manche gar nicht so sehr damit beschäftigt sind, sich diese Frage zu stellen, weil sie in Supermärkten, Krankenhäusern, Apotheken, Straßenbahnen, Schulen, Energieversorgern, Arztpraxen arbeiten oder sich freiwillig melden, bemitleiden sich andere, zeigen, dass sie weder mit sich noch mit anderen so besonders viel anfangen können. „all dressed up, but nowhere2go“ postet jemand aus seiner Altbauwohnung, während ein anderer in einer Nachrichtensendung erklärt, wie selbstverständlich das für ihn sei, dass er sich grad Tag und Nacht um jene kümmert, um die sich keiner mehr kümmert.

Corona ist kein Weichzeichner und Gleichmacher, es ist viel eher ein gnadenloser Verdichter von Ungleichheiten und ich bin nicht besonders hoffnungsfroh, dass wir gut aushalten werden, was wir da am Ende von uns selbst zu Gesicht bekommen. Ein ungeschöntes Spiegelbild einer Gesellschaft aus falschen Versprechungen der Demokratisierungen und Beseitigung von Diskriminierungen, aus dem nur wir selbst tumb zurückstarren, und – je nachdem, wie wir uns nun global verhalten, wen wir im Stich lassen, wen wir sehenden Auges in Lagern und Slums – Verzeihung – verrecken lassen, werden wir uns wohl als Gesellschaft nicht mehr gut aushalten. Der Raum zwischen uns wird größer, nicht kleiner. Die Kontrollen und Disziplinierungsmaßnahmen werden deutlicher und erwünschter, die Lust am Autoritären größer und verzeihlicher. Tut es uns nicht gut, dieses erzwungene „in uns gehen“? Können wir diese Zwangspause, diese Verlangsamung nicht alle gut gebrauchen? Fragen wie diese zeigen schon allein, wie ungleich die Erfahrungen sind, die wir alle gerade machen. Jene, die auch in Nichtkrisenzeiten viel zu wenig Raum, Zugänge und Möglichkeiten für sich haben, denen wird das wenige nun auch noch beschnitten.
Für bessere Lebensumstände und langanhaltende, strukturell abgesicherte soziale Gerechtigkeit sorgen Pandemien selten. Allerdings können sie – wie drastisch am Beispiel der Pestkatastrophe 1347 – 1352 in Europa sichtbar wird – zur Verschärfung von Klassenkonflikten[1] und zu Verschiebungen der Kräfte- und Machtverhältnisse zugunsten sozial schlechter gestellter Menschen führen. Natürlich sind die horrenden Zahlen  (30 – 40 % der europäischen Bevölkerung starb in 5 Jahren) zum Glück nicht vergleichbar, von Arbeitskräfteknappheit allerdings war auch Österreich überraschend schnell betroffen, und so werden jene Frauen, denen das offizielle Österreich vor kurzem noch so offen zeigte, was es von ihrer Arbeitsleistung hielt, in dem es die Kinderbeihilfe kürzte, aus Bulgarien und Rumänien eingeflogen. Ob die Arbeitskräfteknappheit auch hier, wie bei den damals verbliebenen mittelalterlichen Bauern & Bäuerinnen, zu einer massiven Steigerung des Preises für ihre Arbeit führte, darf allerdings bezweifelt werden, sollen sie doch Applaus essen.

Auch ansonsten ist „die Krise als Chance sehen“ nur etwas für jene, die ohnehin so privilegiert sind, alles in ihrem Leben „als Chance“ zu sehen. Für alle anderen – und das gilt global betrachtet befürchte ich – werden sich soziale Ungleichheiten verstärken. Die einzige Chance, die sich böte, sehe ich darin, die nunmehr offenliegenden Brüche und Differenzierungen global endlich ebenso offen zu benennen und die dahinterliegenden Strukturen – inklusive aller, die davon profitieren – zu hinterfragen. Auch da werden wir eher schlecht aussteigen, denn ohne globale Diskriminierungen und Ungleichheiten gäbe es unseren Wohlstand in Mitteleuropa nicht; und ein paar Wochen Verzicht ist ja ganz ok, aber auf Dauer mag sich das wohl niemand von uns hier vorstellen.

Übrigens hätte es das Virus gar nicht gebraucht, um zu zeigen, wie korrupt, ungerecht und letztlich für uns alle schädlich das aktuelle Wirtschaftssystem ist. Dazu hätte unter anderem die Klimakatastrophe gereicht. Wer sieht, wie wenig uns die als reale Bedrohung seit knapp 40 Jahren schert, braucht keine Hoffnung zu haben, dass nun ein Virus bessere, gleichere, ähnlichere Menschen aus uns macht.

[1] Caliban und die Hexe, Silvia Federici, Wien/Berlin 2018, S. 60

2 Antworten zu „Wer hält uns bloß aus?”.

  1. Avatar von deingruenerdaumen

    Und ich bin der guten Hoffnung, dass diese Erfahrung uns Alle! verändert, sensibler macht, wie ich es jetzt schon erlebe. Ich denke, es ist undenkbar, dass wir danach dort weitermachen, wo wir vor der Krise aufgehört haben. ich bin eine Utopistin, aber eines weiß ich, wenn wir so weitergemacht hätten wie bisher -global-, wären wir im Abgrund gelandet. Alle gemeinsam! Einen lieben Gruß und Danke für Ihre klaren Worte.

    1. Avatar von Wiltrud Katherina Hackl

      Vielen Dank für den optimistischen und wertschätzenden Kommentar! Ich hoffe ja zutiefst, dass ich mich täusche und dass wir als Gesellschaft aus dieser Krise klüger, freundlicher, bescheidener rausgehen. Alle gemeinsam, wie Sie sagen, genau! Ich wünsche Ihnen Gesundheit und schicke liebe Grüße.

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