wiltrud katherina hackl


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erschienen am 17.6.2011, Der Standard Gestern Abend eröffnete im Kunstmuseum Lentos in Linz die Ausstellung „Jack Freak Pictures“ der beiden britischen Exzentriker Gilbert und George. Da die beiden so ungern Taxi fahren, erbot sich Wiltrud Hackl, die Chauffeuse und gleichzeitig ein Interview zu machen. Eine ungewohnte Situation – vor allem für Gilbert und George. Wiltrud…

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Von Jacks und Freaks

erschienen am 17.6.2011, Der Standard

Gestern Abend eröffnete im Kunstmuseum Lentos in Linz die Ausstellung „Jack Freak Pictures“ der beiden britischen Exzentriker Gilbert und George. Da die beiden so ungern Taxi fahren, erbot sich Wiltrud Hackl, die Chauffeuse und gleichzeitig ein Interview zu machen. Eine ungewohnte Situation – vor allem für Gilbert und George.

Wiltrud Hackl

Wer Gilbert und George vom Flughafen abholen will, muss Auflagen erfüllen. Unter anderem solle man sie mit einem Schild, auf dem „Gilbert und George“ steht, erwarten. Auf einem Flughafen wie Linz-Hörsching wirkt das Schild entbehrlich und man selbst deplatziert. Das bemerken auch Gilbert und George, als sie durch die Schiebetüre kommen. Sie lächeln leise angesichts des kleinen Begrüßungskomitees: Journalistin, Fotograf und Produktionsleiter Stephen Gorman. Er arbeitet seit fünf Jahren für Gilbert und George und sollte auf Wunsch der beiden mit zum Flughafen kommen. Aus Sicht der streng kontrolliert arbeitenden Künstler ein nachvollziehbarer Wunsch. Nichts bleibt in ihrer Kunst, ihren Ausstellungen und ihrer äußeren Erscheinung dem Zufall überlassen. Sogar der gleiche Kugelschreiber steckt auf die gleiche Weise in der Brusttasche des Anzugs. Eine chauffierende Journalistin birgt da wohl – nach wenigen Kilometern und vielen vorbeiziehenden Feldern – etwas zu viel an unkontrollierbaren Eventualitäten: „Es ist wohl sehr weit vom Flughafen nach Linz? Wir dachten Linz sei eine Industriestadt?“ „Ich finde diese Strecke landschaftlich interessanter und besser geeignet für ein Interview.“ „Die andere Strecke ist nicht gut fürs Auge,“ bestätigt Stephen Gorman. Gilbert und George also geniessen die Fahrt und bemerken erfreut, wie dekoriert und hübsch hier alles ist. Große Bauernhöfe, ebenso große Felder. „Alles so aufgeräumt“, meint Gilbert in seinem italienischen Akzent.

Die Herren auf der Rückbank werden mit jedem Satz und jeder Bewegung ihrem Ruf gerecht. Sie sind ironisch, höflich, nach außen hin wahre Gentlemen, die man nämlich „heutzutage sowieso kaum mehr findet.“ Sie antworten auf unangenehme Fragen nicht unhöflich, sondern gar nicht. Gerne allerdings erläutern sie den sozialen Aspekt in ihrer Arbeit. Der Katalog darf nie mehr als 15 Euro kosten, habe ich gehört. Stimmt das? „Ja,“ kichern beide. In Galerien kosten ihre Kataloge überhaupt nur 10 Euro, in Museen 15. Es gäbe da eine Art von „age-range“ unter Kunstbüchern und Katalogen. Bücher, die über 40 Euro kosten, werden von über Vierzigjährigen gekauft. Also verkaufen sie ihre billiger. Damit wirklich Alle die sie wollen auch kaufen. Ihr Motto „Art for All“ nehmen sie ernst. „Die meisten Menschen treffen in Museen auf Kunst, die nichts mit ihrem Leben zu tun hat, die ihnen nichts bedeutet und nichts aussagt. Wir hingegen machen besucherfreundliche Bilder. Hier findet jeder etwas, das mit seinem Leben zu tun hat. Deshalb sind wir so populär. In unserem Viertel in London sprechen wir oft mit jungen Immigranten aus Bangladesh oder der Türkei. Die würden niemals in ein Museum gehen. Der Eintritt ist zu teuer, der Katalog ist zu teuer und dann blickt auch noch die Kunst auf sie herab.“ Wie sie dieses „Alle“ definieren, frage ich. Alle, das sei jeder, der ihre Kunst und die Aspekte sehen wolle, mit denen sie arbeiten, antwortet Gilbert: „Tod, Hoffnung, Leben, Angst, Sexualität, Geld, Religion“ – „und nicht viel mehr“, setzt George nach.

In der monumentalen, mit dem nüchternen, großen Saal des Lentos wunderbar prunkvoll korrespondierenden Ausstellung prallt die Umsetzung all dieser Themen leuchtend und schrill auf die Besucher. Es ist die bislang umfassendste Werkserie von Gilbert und George, die lebensgroßen Bilder eröffnen jedes für sich einen Kosmos. Sie sind humanistisch, politisch, emotional und manchmal von großer Traurigkeit erfüllt. Ausserdem gibt es den Union Jack als bestimmendes Symbol – in seine grafischen Grundzüge zerteilt, als textiles Element auf Gilbert und Georges Anzügen oder als tapetenhaft flächendeckender und damit ad absurdum geführter Nationalstolz. Und immer wieder zeigen sie Gilbert und George nicht nur als Künstler sondern als Kunst. Kaleidoskop-artig aufgesplitterte Köpfe und Körper, die zu Rosettenfenstern gotischer Kirchen werden. „Wir zerstückeln uns selbst, um uns in der Kunst wieder zusammenzubauen.“

Wer sich für der floralen Aspekt interessiert, für den haben Gilbert und George gleich wieder eine hübsche Geschichte bereit: in einigen ihrer Jack Freak Pictures sind Platanen zu sehen. Solche, wie sie hinter ihrem Haus in London wachsen. Für die beiden Künstler symbolisieren die Bäume sexuelle Unsicherheit. Denn sie müssen Millionen von Samen vom Wind verstreuen lassen, um sich fortzupflanzen. „Wie würden wohl Menschen aussehen, wenn sie sich derart fortpflanzen müssten?“ frage ich. „Na, wie Platanen“, so die trockene Antwort. „Wussten sie,“ fragt George, „dass der König von Persien“ – „the sexiest King of Kings“, kichert Gilbert – „Platanen dekorierte, lange bevor es Weihnachtsbäume gab? Und zwar mit den Juwelen seiner Konkubinen.“

Wer ist eigentlich Jack Freak? Kann man ihn an einer Person festmachen? Ja, meinen Gilbert und George, er stecke in jedem von uns. „Wenn sie sich morgens im Spiegel betrachten, kann da auch Jack Freak zurückblicken. Jeder in Großbritannien ist ein Stück weit Jack – also Union Jack. Und jeder ist ein Stück weit Freak. Da war ja diese Hochzeit…“ – „Sie meinen jene von Katie und Harry?“ – „…jaja, also, da gab es die öffentlichen Parties, für die Menschen auf den Strassen. Sie haben tagelang gefeiert. Und sie haben sich gekleidet wie sie sich sonst niemals kleiden. Sie waren wie Freaks gekleidet. Und sie haben sich gut gefühlt.“ Sie waren zur Hochzeit nicht eingeladen, habe ich gelesen, aber sie würden auf eine Einladung zu Harrys Coming-Out Party warten. Ob sie denn schon eine bekommen hätten? Die Antwort bleiben Gilbert und George schuldig, denn wir parken bereits vor dem Hotel. Glücklich, doch noch angekommen zu sein, packt sie der Übermut. Ob ich sie denn in einer halben Stunde noch einmal abholen und zum Museum chauffieren könnte.

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