erschienen in: Bildpunkt zum Schwerpunkt Wasser Herbst 2025
Superman alias Clark Kent gibt sich 1959 nicht erstaunt, als Lori Lemaris ihren Fischschwanz und damit ihre hybride Identität preisgibt – Superman‘s große Liebe ist eine Wasserfrau. „Just as I suspected. Amazing as it may seem – Lori is a Mermaid!“1 Wie viele Nixen, Undinen und Melusinen vor ihr entzieht auch Lori Lemaris sich der Verbindung zwischen Menschen- und Wasserwelt und verneint Supermans Heiratsantrag. In dieser kurzen Szene verdeutlichen sich auf popkulturelle Weise hunderte Jahre mythischer Ordnungen und Regeln zwischen Menschen (wenngleich Super-Menschen) und hybriden Wasserwesen: es bleibt eine sogenannte „gestörte Mahrtenehe“, meist ist der naturhafte, hybride Teil der Beziehung weiblich, sehr häufig eine Wasserfrau. Diese Figur der Wasserfrau hat sich durch mediale Umschriften so tief als Repräsentation von menschlicher Weiblichkeit in ein kulturelles und gendertheoretisches Gedächtnis eingebrannt, dass ihr aus emanzipatorischer und feministischer Sicht zuerst einmal skeptisch zu begegnen ist. Bei genauerem Hinsehen und quergelesen werden allerdings ganz andere Positionen deutlich, um die es mir in meiner künstlerisch/wissenschaftlichen Arbeit mit diesem Motiv geht: Ich will neue relationale Verbindungen zwischen weiblich konnotierten Wasserwesen und ihren vielfältigen medialen, historischen sowie kulturellen Variationen herstellen. Diese Figuren bewegen sich zwischen Literatur, Mythos, Film, Musik und Bildender Kunst und verschränken sich zugleich mit jenen, die sie lesen, erzählen, besingen oder darstellen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Wasserfrauen seit Jahrtausenden als ambivalente Figurationen von Weiblichkeit entworfen werden: monströs und verführerisch, hybrid und randständig, aufgeladen mit Zuschreibungen, die zwischen Natur und Kultur oszillieren.
Zunächst gilt es, die in ihnen angelegte Konstruktion von Weiblichkeit zu analysieren. Wasserfrauen verkörpern symbolisch Weiblichkeit als „das Andere“ – doppelt verfestigt in Bezug auf reale weibliche Körper. Ihre Darstellung wirkt disziplinierend: Sie sind häufig wortlos, bereit zur Selbstaufgabe, verzeihend, am Ende verstummend oder sich auflösend. Beispiele wie Hans Christian Andersens kleine Meerjungfrau oder Ingeborg Bachmanns Undine verdeutlichen, dass die Figur trotz scheinbarer Fluidität stets in klar umrissenen Ordnungssystemen verbleibt.
Ausgehend von Theorien feministischer Repräsentationskritik, erweitert durch poststrukturalistische Begriffe sowie durch posthumanistische Konzepte der Diffraktion und Überlegungen zu spekulativen Figurationen eröffnen sich Wege, um die Wasserfrau nicht nur als Symbol für Weiblichkeit, sondern als vielschichtig verschränktes Motiv zu begreifen. Ziel ist es, ihre Repräsentationsfunktion aufzulösen – nicht durch simple Übertragung auf andere Genderpositionen, sondern durch ein posthumanistisches Neu-Denken von Körper, Stimme, Haut, Narration und Umgebung.
Die Untersuchung bewegt sich dabei bewusst zwischen Analyse und spekulativer Weitererzählung. Denn Wasserfrauen sind seit Jahrhunderten sexualisierte und eindeutig markierte Motive. Ein Negieren ihrer Zuschreibungen würde die historischen Brüche und Iterationen verdecken, die sich in Märchen, Sagen, Horrorfilmen oder Denkmälern zeigen. Noch 2025 diskutieren Boulevardmedien etwa über die „richtige“ Brustgröße einer Nixen-Skulptur in Dänemark – ein Beispiel für die Persistenz o.a. Repräsentationsmuster.
Ein wichtiger Strang ist die de- und postkoloniale Erweiterung des Diskurses. Wasserfrauen sind keine auf Europa oder auf die deutsche Romantik begrenzten Figuren; im Gegenteil. Sie verbinden sich mit Erzählungen von La Llorona in Lateinamerika, mit afrikanischen und afro-diasporischen Gottheiten wie Mami Wata oder der brasilianischen Oshun, oder mit mythischen Wesen aus Asien und dem arabischen Raum. Ihre Geschichten sind eng mit Kolonialismus, Sklaverei und patriarchalen Strukturen verwoben. Populärkulturelle Kontroversen – etwa um die Schauspielerin Halle Bailey als Arielle (Disney) – zeigen, wie sehr Fragen nach Hautfarbe, Gender und kulturellem Erbe in diesen Diskursen präsent bleiben. Filme wie der Animationsfilm The Water Will Carry Us Home (Gabrielle Tesfaye, USA 2018) und Spielfilme wie Atlantique (Mati Diop, FR/Senegal/BE 2019), Mami Wata (C. J. Fiery Obasi, Nigeria 2023), Scales (Shahad Ameen, Saudi-Arabien/Irak/VAE 2019) oder Monique Roffeys 2020 erschienener, in der Karibik angesiedelter Roman The Mermaid of Black Conch und Emilia Harts heuer erschienener Roman Sirens – um nur ganz wenige wichtige Beispiele zu nennen –, belegen das Potential der Figur, aus postkolonialer Sicht hegemoniale Ordnungen zu kritisieren.
Die Wasserfrau erscheint hier als Störkörper und Widerstandsfigur: Sie widersetzt sich kapitalistischen, kolonialen, patriarchalen Strömen ebenso wie einer Sprache, die „Fließen“ und „Flexibilität“ ökonomisch vereinnahmt. Gerade diese Ambivalenz macht sie zu einer produktiven Figuration, die neue, nicht-teleologische Erzählweisen ermöglicht.
Am Ende bleibt die Suche nach Möglichkeiten, Wasserfrauen nicht mehr als Repräsentationen festzuschreiben, sondern sie in relationalen Gefügen, in Diffraktionen und Verschränkungen zu denken. Diese Herangehensweise an phantasmatische Figuren versteht sich dabei auch als Einladung, sie neu zu imaginieren – nicht als fixierte Symbole, sondern als fluide Kompliz:innen in der Auseinandersetzung mit Geschlecht, Macht und Erinnerung, die zu immer neuen Erzählungen auffordern. In diesem Sinn: bildet Banden, vor allem mit euren Geistern!
1 The Girl in Superman’s Past, in: Superman #129, USA 1959, S.40
Wiltrud Katherina Hackl lebt und arbeitet als Pädagogin und Lehrbeauftragte in Wien und Linz.

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