Die Künstlerin Anna Pech weist aktuell in einer Ausstellung im „Raum der Stille“ der Katholischen Hochschulgemeinde auf die Arbeit des „Ned d’accord Chor“ hin. Studierende der Kunstuniversität Linz texten um, singen voller Freude und mit Überzeugung, öffentlich, sichtbar und laut. Anna Pech druckt diese Texte auf großflächige Fahnen und stellt sie an den Wänden des Kunstraumes aus und zeigt die Sänger:innen in einem Video beim Proben. Eine schöne Würdigung der politisch/künstlerischen Arbeit der Studierenden, die sich nicht entmutigen liessen, und nach dem Ende des nur für wenige Monate ermöglichten Chors1 an der Kunstuniversität Linz weitermachten. Ein schöner Anlass auch, um hier ein paar Gedanken zu veröffentlichen, warum ich Chöre für so wichtig gerade in Arbeitskontexten halte:
Egalisierungsapparat
Chöre bestehen aus unterschiedlichen Stimmen, die unterschiedlichen Menschen gehören. Sie sind divers, sie klingen ohne Ansehen der Person, Alter, geschlechtlicher, sozialer oder nationaler Zuordnung. Ein Chor ist ein Paradoxon, das einerseits vom Bild des „geeinten Klangkörpers“ und andererseits von der Diversität und Gleichberechtigung aller im Chor vertretenen Einzelstimmen getragen wird. Jede Stimme ist wichtig, sie ist allerdings ebenso wichtig wie jede andere einzelne Stimme. Gerade innerhalb von Strukturen, die sich hierarchisch bilden, die aus Gruppen und Abteilungen bestehen, die sich voneinander abgrenzen, unterschiedliche Funktionen und unterschiedliche formale Voraussetzungen haben, aber miteinander eine Struktur, ein System aufrecht erhalten lassen sollen, haben diese einzelnen Stimmen oftmals keine ebenbürtige Stellung, werden nicht gleichwertig gehört, nicht gleichwertig verstanden, ihre Forderungen und Vorschläge nicht gleichwertig aufgegriffen oder umgesetzt. Chöre tragen dazu bei, die Kräfte innerhalb dieses Machtgefüges auszugleichen – durch Verlagerung der Stimmen in einen gleichwertigen, sicheren Raum, in dem es nicht vordergründig um Arbeitsalltag und berufliche Anliegen geht, sondern um etwas auf den ersten Blick so banales wie „Singen“. Ein Chor kann so betrachtet gleichermaßen als Ermächtigungsmaschine betrachtet werden wie als Gleichberechtigungsmaschine.
Learn to unlearn
Im Chor wird aktiv verlernt. Jede Person trägt ihre Erfahrung, ihre Expertise, ihr Wissen und ihre Stimmausbildung in den Chor und gibt sie ab. Die Person trägt damit zu einem größeren Gefüge bei, gibt die Expertise an alle weiter, verlernt die eigene, spezifische Art zu singen, um mit anderen zu singen und von anderen neu zu lernen. Im Chor geht es darum, zu teilen, auch sich mitzuteilen und um gemeinschaftliches (neu)erlernen. Um ein Hören und Zuhören und ein daraus folgendes Abstimmen der eigenen Stärke, Kraft und Energie. Das Verlernen beginnt bereits beim Einsingen – die Übungen werden geteilt, jede:r stellt Körper/Stimmübungen zur Verfügung, manchmal erfinden wir Übungen, wandeln die Übungen unserer Mitsingenden ab, nehmen auf und teilen wiederum.
Politisch
Singen ist politisch. Ein Chor ist politisch. Das sagt sich so leicht. Wir blicken auf Revolutionen in der Geschichte, die „ersungen“ wurden – die portugiesische Nelkenrevolution etwa – ganz abgesehen davon, dass alle Revolutionen „ihre“ Lieder haben, die im Rückblick auch immer wert sind, dekonstruiert und umgeschrieben zu werden. Frauen in Afghanistan oder dem Iran erfahren gegenwärtig, wie politisch und aus Sicht des Patriarchats gefährlich Singen ist und unter Strafe verboten wird. Vor allem die weiblich konnotierte Stimme scheint mit zersetzender Kraft ausgestattet zu sein. Auch wir singen gegen Widerstände, wenngleich sie unvergleichbar weniger schwer zu überwinden sind. Dennoch bleibt die Gewissheit und erfahren wir, dass „die Stimme“ singend zu erheben als ein hegemoniale Machtverhältnisse störender Akt begriffen werden kann. Personen in Führungsebenen agieren nervös, wenn sie wissen, dass sich Menschen in ihrem Betrieb oder ihrer Bildungseinrichtung treffen, um über hierarchische Strukturen hinaus und in Verschränkung zu singen. Ein Chor aber gründet sich im besten Fall „von unten“, aus einer Notwendigkeit heraus und von einer Sehnsucht nach gemeinschaftlichem Tun und Tönen getrieben. Ein Chor stellt sich gegen kompetitive Kontrollmechanismen, im Chor kommen sich die Menschen näher, überwinden Vorurteile, wappnen sich gegen Vereinzelung und ein gegeneinander Ausspielen. Singen macht optimistisch, selbstbewusst, glücklich und richtet den Körper auf – schlechte Voraussetzungen in Unternehmen, die auf patriarchalisch/kapitalistische Führungsstrategien setzen. Wer singt, hat weniger Angst, auch dann nicht, wenn die Führungsebene den Chor und das Singen verbieten möchte. Alleine deshalb ist es so wichtig, gemeinsam zu singen, gemeinsam nach vorne (und auf) zu treten und sich das Singen unter keinen Umständen verbieten zu lassen.
- Den Chor habe ich während meiner Tätigkeit als Universitätsassistentin im Oktober 2024 ins Leben gerufen, explizit eingeladen waren alle Personen, die gerne singen, egal ob Verwaltungspersonal, Studierende, Alumni oder Lehrpersonal. Einen ersten Auftritt gab es im November im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung „Über eine Brücke“ an der Kunstuniversität. Nach dem Ende meines Vertrags sah das Vizerektorat keine Möglichkeit/Notwendigkeit, den Chor weiterzuführen. Auch wurden die Verbleibenden schriftlich ersucht, den Begriff „Kunstunichor“ nicht zu verwenden, mit der Begründung, dass der Chor „nicht durch das Rektorat oder eine offizielle Lehrveranstaltung installiert wurde.“ ↩︎

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