„Sei der Mensch, der Du eigentlich bist“ schrieb mir einst ein Exfreund in einer sms – und: „stop the Dramaqueen“ (sic!) zum Abschied. Die feine Ironie, die zwischen der Uhrzeit – 00:52 – und dem Inhalt liegt, wird er wohl nicht mehr erkennen. Ebenso wenig den Versuch eines feinen Zwischentons in meiner Antwort: „Du bist halt ganz der Mensch, der Du eigentlich bist“. (Selbstverständlich hat er mich anschliessend auf allen Kanälen geblockt, beantwortet keine einzige Nachricht, in der ich um eine Hose – Lieblingshose – und sonst nichts bitte, aber gratuliert mir um kurz nach 00.00 zum Geburtstag, well, aus dem Schlaf reissen mit Geburtstagswünschen wird man ja wohl noch dürfen – MANHATSJANURGUTGEMEINT; was regt sie sich denn schonwieder auf…)
„Sei doch ganz der Mensch…“ abgesehen davon, dass ich immer ganz der Mensch bin, der ich bin (und genau deshalb das Ende der Beziehung zu einem narzisstischen Menschen wie oben beschrieben immer näher ist als eine Zukunft mit ihm), wäre ich ganz gerne wie meine Großmutter, die – wenigstens nach außen hin – dem Credo „vergeben, aber nicht vergessen“ folgte oder die Königin in Alice in Wonderland, die den König daran erinnert, er würde den „schrecklichen Anblick natürlich“ vergessen, „es sei denn, Du errichtest ihm ein Denkmal“ oder am liebsten und überhaupt Frida Kahlo: „I don’t give a shit what the world thinks. I was born a bitch, I was born a painter, I was born fucked. But I was happy in my way. You did not understand what I am. (…)“
Wir würden das alle gern mit Überzeugung und glaubwürdig kundtun. Aber – weder hat meine Großmutter tatsächlich jemals vergeben, noch und schon gar nicht sind T-Shirt-druckfähige Sprüche hilfreich, eine gescheiterte Beziehung (und letztendlich scheitert jede Beziehung, weil andere und schliesslich wir selbst irgendwann sterbend jede Beziehung zu anderen abbrechen) zu verarbeiten und zu vergessen.
Ein Mensch, der die letzten Tage der Beziehung damit verbracht hat, dem Menschen, von dem er sich trennt, aus dem Weg zu gehen, seine Gegenwart zu vermeiden, regelrecht in panikartige Fluchtgestik ausbricht, kaum dass der/die Andere den Raum betritt, jedes Gespräch ablehnt, geschweige denn auf die Idee kommt, einmal nachzufragen – was brauchst Du, kann ich hilfreich sein, wie geht es Dir – sollte allerdings wenigstens genug Chuzpe und Verstand aufbringen, sich und anderen Sprüche wie die oben zu ersparen. An einem dieser letzten Abende, an dem ich den vagen Hoffnungsschimmer eines versprochenen, klärenden, wertschätzenden Gesprächs hatte und der betreffende Mensch stattdessen erneut kurzerhand die Wohnung verließ, um seinen Kummer zu ertränken, hab ich versucht, die Chose auf und mit dem Klavier zu verhandeln. Herauskam ein 1:41 kurzer Song, der, ob seiner eingängigen, popartigen musikalischen Struktur wiederum gründlich als Liebes- oder Beziehungsrettungsversuchslied missverstanden wurde. Dabei war der Text wirklich mehr als eindeutig und ich bin keineswegs stolz auf seine mangelnde Komplexität, aber der versank wohl im wirklich nicht schlechten Hook (und ich musste darüber hinaus übersetzen, was „challenged me“ hieß, und ja. Es gibt dann zum Glück doch immer Gründe, warum man sich dieses eine Mal gerne trennt.)
Beziehungsenden sind generell schwierig und wunderbar herausfordernd, wir versuchen den Kopf und das Kinn oben zu halten, die Tränensäcke mit Sonnenbrillen zu verbergen und freuen uns über die Kilos, die wir ad hoc aus Kummer und Schmerz verlieren. Aber am schwersten machen es einer/einem diejenigen, die meinen, dies alles würde in die Kategorie „Dramaqueen“ fallen. Nein, tut es nicht. Es ist alles völlig im Rahmen, es gehört dazu, man darf traurig sein und wütend, und verärgert und enttäuscht über Lügen und unsolidarische Haltungen anderer. Man darf kitschige, einfache Lieder darüber schreiben. Nicht im Rahmen verhalten sich diejenigen, die ihr Herz, ihre Leidenschaft, ihre Seele entweder nie entwickelt oder sich abtrainiert oder tief in der Nasenscheidewand versenkt haben und nun meinen, diese völlige Empfindungslosigkeit, die sie während einer Beziehung gerade noch mit materiellen Zuwendungen überspielen konnten, sei am Ende einer Beziehung hilfreich oder „normal“. Nichts ist am Ende einer Beziehung „normal“, wenigstens kurzfristig und das darf so sein. Niemand sollte sich darüber erheben, Gefühle zu entwickeln, niemand sollte sich erdreisten, andere dafür zu pathologisieren, dass sie im Gegensatz zu ihnen selbst welche entwickeln können. Klar – wir haben aktuell eine Regierungsmannschaft, die sich zu einem Gutteil durch völlige Leidenschaftslosigkeit und völlige Unfähigkeit, sich in die Leben und Empfindungen anderer zu denken auszeichnet und die Welt läuft generell, was Leidenschaft für die Leben anderer betrifft, ziemlich aus dem Ruder. Das muss man sich aber doch nicht zum Vorbild nehmen. Da werde ich doch lieber um ein Uhr nachts mit „stop the Dramaqueen“ geweckt und amüsiere mich ein klein wenig über #ohthefuckingirony.